Sein erster Fall
Ende, daß der Antragsteller einen ausgesuchten juristischen Verstand besitzt, der nur leider nicht von entsprechenden moralischen Grundsätzen gelenkt wird. Sosehr das Gericht diese letztere Tatsache auch verurteilen mag, es kann gleichwohl nicht die brillante Intelligenz übersehen, mit welcher der Antragsteller, dieser schmächtige, schwächliche, offenbar noch junge, unbedarfte und unerfahrene Mensch die Gerichte zweier Staaten in eine Lage hineinmanövriert hat, in der sie tatsächlich keine Möglichkeit haben, ihn für einen kaltblütigen Mord, den er obendrein sogar noch frech eingesteht, zu bestrafen. Eine ganz groteske Situation. Bis zu einem gewissen Grad wird die moralische und rechtliche Verantwortungslosigkeit des Antragstellers allerdings durch sein Geständnis aufgewogen, das es den kalifornischen Behörden ermöglicht hat, seine Komplicen dingfest zu machen - sofern man einen solchen Ausgleich gelten lassen darf und will. Das Gericht wird sich nunmehr zur Beratung zurückziehen, um den Fall erneut einer genauen Prüfung zu unterziehen. Es wird sich zugleich auch mit der schwerwiegenden juristischen Unzulänglichkeit einiger gesetzlicher Bestimmungen befassen, die für die soziale und rechtliche Struktur unseres Volkskörpers katastrophale Schäden nach sich ziehen müssen, wenn sie nicht unverzüglich beseitigt werden. Das Gericht wird im übrigen die Auslegung, die der Antragsteller den in Frage stehenden Paragraphen zuteil werden läßt, nur dann anerkennen, wenn sich der Staat Kalifornien selber nicht in der Lage sieht, diesen seinen Paragraphen eine anderweitige Auslegung zu geben, als sie der Antragsteller geltend macht. Eine solche Abweichung müßte allerdings in eindeutig unmißverständlicher Weise formuliert sein.«
Richter Oliphant erhob sich und schritt mit ernster Miene auf
die Tür des Beratungszimmers zu. Ich blieb im Gerichtssaal und wartete. Nach kurzer Zeit kam der Sheriff und sagte: »Kommen Sie mit, Lam.« Er brachte mich in sein Büro, wo ich geduldig weiterwartete. Der Staatsanwalt kam herein und stierte mich an, als wäre ich ein Fabeltier.
Nach einer halben Stunde brachte mich der Sheriff in den Gerichtssaal zurück. Richter Oliphant kam wieder herein und nahm Platz. Seine gebeugte Haltung verriet den schweren inneren Kampf, der hinter ihm lag. Er blickte dem Staatsanwalt fest in die Augen. »Das Gericht hat keine andere Wahl«, sagte er. »Die Rechtslage in diesem Fall verhält sich genau so, wie der Antragsteller sie geltend macht. Nach ihr kann - kann nicht nur, sondern es ist tatsächlich geschehen - ein kaltblütiger Mord absolut straffrei begangen werden. Für das Gericht besteht keinerlei Zweifel darüber, daß hier jeder einzelne Schritt im Sinne eines wohlangelegten Planes mit skrupellosem Scharfsinn von dem Antragsteller vorbereitet worden ist. Indessen liegen dem Gericht unumstößliche und rechtsgültige Beweise für die Annahme einer solchen planmäßigen Vorbereitung nicht in genügendem Ausmaß vor. Die vom Antragsteller zitierten Präzedenzfälle, Gerichtsentscheidungen und Paragraphen bestehen tatsächlich und treffen auf seinen Fall zu. In Anbetracht der Auslegungen, die sie von seiten der kalifornischen Gerichte selber erfahren haben, wäre jede andere Auslegung gegenstandslos. Die kalifornischen Gerichte haben in diesem Sinne gesprochen und dadurch selber der Möglichkeit einer anderweitigen Anwendung ihrer Gesetze einen Riegel vorgeschoben. Arizona darf diesen Mann nicht ausliefern. Der Antragsteller wird daher aus der Haft entlassen, sosehr das Gericht auch beklagt, diese Entscheidung treffen zu müssen.«
»Wir brauchen seinen Angaben aber doch keinen Glauben zu schenken, Herr Richter«, sagte der Staatsanwalt. »Wir können ihn im Hinblick auf neue Verdachtsmomente in Haft behalten.«
»Offensichtlich unterschätzen Sie den diabolischen Scharfsinn, mit dem sich der Angeklagte in seine nach allen Richtungen durchdachte Position hineinpraktiziert hat«, erwiderte der Richter. »Er kann von Arizona nicht ausgeliefert werden - er gilt für uns nicht als vom Gesetz flüchtig, auf keinen Fall als aus Kalifornien flüchtig. Ich bezweifle auch, daß genügend Beweismaterial vorliegt, aufgrund dessen man ihn mit dem Verbrechen in Kansas City in Verbindung bringen könnte. Sollte dies doch der Fall sein, so wird es nicht schwer sein, den Antragsteller alsbald zu finden, denn er wird Arizona bestimmt nicht verlassen wollen. Hier nämlich genießt er Sicherheit
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