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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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Geldmangel oder fehlender Stellung nicht zurückschrecken. Wie sie gesagt hatte: Bloß Margery hielt sie davon ab, all das hinzuwerfen. Und wenn Dinge ihr aus der Hand genommen wurden – Selbst wenn sie nur beunruhigt war, nur den Verdacht hatte, dass dergleichen bevorstand, konnte alles passieren. Alles.
    Nein! Clare durfte um keinen Preis etwas von dem Treffen mit Bellew erfahren. Brian auch nicht. Es würde nur ihre eigene Macht schmälern, ihn zu halten.
    Die beiden würden nie von ihr erfahren, dass Bellew die Wahrheit über seine Frau ahnte. Und sie würde alles tun, würde alles riskieren, um zu verhindern, dass er die Wahrheit herausfand. Was für ein Glück, dass sie ihrem Instinkt gefolgt war und Bellew nicht wiedererkannt hatte!
    »Zum sechsten Stock, gehen Sie da manchmal hoch, Clare?«, fragte Brian, als er das Auto anhielt und ausstieg, um die Tür für die Damen zu öffnen.
    »Aber ja! Wir wohnen im siebzehnten.«
    »Ich will sagen, sind Sie schon mal mit Nigger-Power hochgestiegen?«
    »Sie sind gut!«, lachte Clare. »Fragen Sie ’Rene. Mein Vater war ja Hausmeister in der guten alten Zeit, bevor jede noch so schäbige Wohnung einen Aufzug hatte. Aber es ist nicht Ihr Ernst, dass wir hier hochlaufen müssen? Hier doch nicht!«
    »Doch, genau hier. Und Felise wohnt ganz oben«, sagte Irene.
    »Wozu denn das um Himmels willen?«
    »Sie behauptet, glaube ich, so würden Gelegenheitsbesucher abgeschreckt.«
    »Und wahrscheinlich hat sie recht. Allerdings hart für sie selbst.«
    Brian sagte:
    »Ja, etwas. Aber sie meint, sie wäre lieber tot als gelangweilt.«
    »Oh, ein Garten! Und wie schön mit dem unberührten Schnee!«
    »Ja, nicht? Aber bleiben Sie in diesen lachhaften Schühchen auf dem Weg. Du auch, Irene.«
    Irene ging an ihrer Seite auf dem geräumten Zementpfad, der die Weiße des Innenhofs zerteilte. Sie fühlte etwas in der Luft, etwas, das zwischen den beiden gewesen war und wiederkäme. Es glich etwas Lebendem, das sich an sie presste. Mit einem schnellen, verstohlenen Blick sah sie, dass Clare sich an Brians anderen Arm klammerte. Sie sah ihn an mit jenem provozierenden, nach oben gerichteten Blick, und seine Augen waren auf ihr Gesicht geheftet mit einem Ausdruck wehmütigen Verlangens.
    »Hier ist, glaube ich, der Eingang«, sagte sie mit ganz normaler Stimme.
    »Passen Sie auf«, sagte Brian zu Clare, »dass Sie nicht vor dem vierten Stock auf der Strecke bleiben. Sie weigern sich strikt, jemanden mehr als die letzten zwei Treppen hochzutragen.«
    »Sei doch nicht albern!«, fauchte Irene.
    Die Party begann fröhlich.
    Dave Freeland war in Höchstform, brillant, kristallklar und spritzig. Felise war auch amüsant und nicht ganz so sarkastisch wie sonst, weil sie die zwölf Gäste mochte, die in dem langen, unordentlichen Wohnzimmer verstreut waren. Brian war geistreich, auch wenn seine Bemerkungen, wie Irene vermerkte, etwas spitzer waren, als man es von ihm ohnehin gewohnt war. Auch Ralph Hazelton warf wieder seine eleganten Ungereimtheiten in die Gesprächsrunde, die von den anderen, selbst von Clare, aufgefangen und neu ausgeschmückt retourniert wurden.
    Nur Irene war nicht froh. Sie saß fast stumm da, lächelte gelegentlich, damit man denken sollte, sie sei amüsiert.
    »Was ist los mit dir, Irene?«, erkundigte sich jemand. »Hast du gelobt, nie zu lachen oder so was? Du bist ja stocknüchtern.«
    »Nein. Nur seid ihr alle so klug, dass es mir die Sprache verschlägt, ich bin total überwältigt.«
    »Kein Wunder«, bemerkte Dave Freeland, »dass du den Tränen nahe bist. Du hast ja keinen Drink. Was möchtest du?«
    »Danke. Wenn es etwas sein soll, dann ein Glas Ginger Ale mit drei Tropfen Scotch. Zuerst den Scotch, bitte. Dann das Eis, dann das Ginger Ale.«
    »Ach du lieber Himmel! Versuch das nicht selbst zu mixen, Dave, Schatz. Lass den Butler ran«, spöttelte Felise.
    »Ja, nur zu. Und den Lakaien.« Irene lachte ein wenig, dann sagte sie: »Mir kommt es furchtbar warm hier drin vor. Etwas dagegen, dass ich das Fenster öffne?« Und damit stieß sie eins der bodentiefen Flügelfenster auf, die der ganze Stolz der Freelands waren.
    Es hatte zwei oder drei Stunden zuvor aufgehört zu schneien. Der Mond ging auf, und weit hinter den hohen Gebäuden krochen ein paar Sterne hervor. Irene rauchte ihre Zigarette zu Ende und warf sie aus dem Fenster und beobachtete, wie der winzige Funken langsam auf den weißen Boden fiel.
    Jemand im Zimmer hatte den Plattenspieler angemacht.

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