Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
Türe zu kehren. Das innere Stehaufmännchen bekommt damit ein schweres Metallgewicht um den Hintern geschnallt und kann sich leichter wieder aufrichten. Wer die eigene Verantwortung wahr- und annimmt, auch wenn sie noch so klein ist, lebt einfach leichter.
Man kann in ein Erdbebengebiet fahren, eine Giftschlange streicheln, Polizisten aus Prinzip duzen, einen Lehrer hinterfragen, eine Politesse auslachen, einem Politiker vertrauen – oft hat man im Leben einen nicht unwesentlichen Anteil daran, dass eigener Schaden entsteht. Da ist es psychologisch heilsam, nach diesen Anteilen zu suchen. Die berühmten letzten Worte des Sportlehrers, »Alle Speere zu mir!«, sind so ein Beispiel. Oder die des Chemielehrers: »Und nun der Geschmackstest.«
Natürlich hat man nicht immer einen Anteil am Problem. Außerdem soll dies kein öffentlicher Aufruf zur Übervorsichtigkeit werden: Klar, wer nicht aus dem Hause geht, dem passiert natürlich viel weniger. Trotzdem ist es gut und richtig, das Haus hin und wieder zu verlassen. Die Botschaft ist nur: Raus aus der Opferfalle! Jeder ist in seinem Leben Täter und Opfer. Aber nur der Täter kann etwas ändern, das Opfer muss weiterleiden.
Als besondere psychische Konstellation gilt freilich ein leichtes Eigenverschulden mit katastrophalen Folgen, zum Beispiel ein kleiner Fahrfehler, der aber den Tod eines Kindes zur Folge hat. Diese traurige Situation ist im Wesentlichen ein Schicksalsschlag, bei dem dann aber oft pathologische Schuldgefühle auftreten, die entsprechend behandelt werden müssen.
FALL 45: Die 40-jährige Rebekka D., beruflich in der mittleren Managementebene, ist in der Krise. Ihr Lebensgefährte Christoph hat sie nach zwanzig Jahren Beziehung verlassen. Sie galten lange als ideales Paar. Sie hätten in einer offenen Beziehung gelebt, hätten für die konventionellen Spießbürgerehen nur ein müdes Lächeln übriggehabt, sagt sie. Es sei ideal gewesen: Keiner habe den anderen kontrolliert; es habe keinen Zwang gegeben. Sie habe selten Außenbeziehungen gehabt, er etwas öfter. Aber nichts Ernstes. Danach habe man sich gegenseitig von seinen Abenteuern berichtet. Das sei die Abmachung gewesen. Ihre Eltern, recht konservativ, hätten längere Zeit auf eine Heirat gedrängt. Aber das junge Paar sei stets der Auffassung gewesen, dass diese bürgerlichen Fesseln die Liebe nur zerstören würden. Und die Ehe der Eltern sei auch nicht so toll gewesen. Kinder hätten sie keine, dazu hätten sie beide nie eine besondere Neigung gehabt. Einmal sei sie trotz Pille schwanger gewesen, aber das habe sie abtreiben lassen. Das hätte damals bei der Karriere gestört.
Wegen einer zwanzig Jahre Jüngeren habe ihr Lebensgefährte Christoph sie nun verlassen. Das tue weh. Noch dazu sei die andere schwanger. »Christoph wird Vater, was er bei mir nie wollte!« Frau D. macht ihrem ehemaligen Lebensgefährten die Trennung nicht leicht. Sie ist verzweifelt. Sie hasst ihn dafür. Wie kann er nur? Sie könnte ihn kastrieren! In der Therapie erkennt sie, dass sie miteinander ja eigentlich ausgemacht hatten, keine Lebensbindungen einzugehen. Dass jeder immer »frei« war. Und dass er sich jetzt – entsprechend ihrer Abmachung – diese Freiheit genommen habe. Es wird ihr schmerzhaft bewusst: Sie hat sich eigentlich, im Gegensatz zu ihrem theoretischen Beziehungsideal, immer die lebenslange Treue gewünscht – so wie ihre spießigen Eltern. Erschreckt entdeckt sie, dass sie tief im Inneren ja doch konservative Wertvorstellungen hat. Und dass sie ihren Kinderwunsch immer verdrängt hat – der sich jetzt an der Schwangerschaft der Rivalin schmerzhaft und bitter entzündet. Mit dieser Erkenntnis kann sie sich vom Bild der zerstörten »idealen Liebe« trennen, und ein Aufarbeitungsprozess kommt in Gang.
ANALYSE: Frau D. ist von ihrem Lebensgefährten verlassen worden, mit dem sie selbst eine offene, ungebundene Beziehung eingegangen ist. Verbindlichkeit hat sie selbst immer aus ideologischen Gründen abgelehnt, obwohl sie von ihr unbewusst intendiert war. Die Erkenntnis des eigenen Beitrags an der momentanen schwierigen Situation macht ihr die Aufarbeitung leichter.
Scheitern fruchtbar machen
In diesem Buch wurden neun Schicksale aus der Weltliteratur vorgestellt und deren Umgang mit Schuld beschrieben. Alle neun sind außergewöhnliche Menschenleben und keines davon scheint aufs Erste wünschenswert. Jeder dieser neun Charaktere ist in gewisser Weise gescheitert. Drei erscheinen uns
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