Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
trotzdem in ihrem Scheitern bewundernswert: Gregorius, Raskolnikow und Valjean. Diese Protagonisten konnten die Schuld umwandeln und ihr Scheitern fruchtbar werden lassen. Bei ihnen ist die Herzenswende offensichtlich. Drei weitere erregen weniger unsere Bewunderung, sondern eher unser Mitleid: Faust, Kohlhaas und Hofmiller. Stefan Zweig würde die drei »durchschnittliche Charaktere« nennen, die nicht ganz zu ihrer Schuld stehen können. Ihr Herz bleibt lange unentschlossen, letztlich weiß man noch nicht, wie sie sich innerlich weiterentwickeln werden. Und bei drei Figuren wendet sich unsere Sympathie eher ab: Richard, Scrooge und Moor sind traurige Erscheinungen, die um sich selbst kreisen, ihre Schuld verdrängen und in aggressive Fremdbeschuldigung flüchten.
Sechs der neun in diesem Buch vorgestellten Charaktere schaffen letztlich aber doch die Herzenswende. Neben Gregorius, Raskolnikow und Valjean, bei denen die Herzensbewegung beschrieben wurde, noch Faust, Hofmiller und Scrooge, die ihr lang verdrängtes Fehlverhalten schließlich doch wahrnehmen können und eine selbsterwählte Sühne zur Wiedergutmachung auf sich nehmen. Diese sechs haben mit einer Herzensbewegung ihr Scheitern fruchtbar gemacht, haben aus ihrem Sturz Schwung geholt für einen moralischen Aufstieg. Durch das Schicksal der anderen oder die eigene Schuldeinsicht bewegt, haben sie sich vom Egoismus des Bauches oder der berechnenden Kopfentscheidung abgewandt und sind zur Herzensgröße aufgestiegen.
Von Kohlhaas, Richard und Moor ist keine Schuldeinsicht oder Sühnebereitschaft berichtet. Sie enden verbittert als Folge ihrer Machenschaften. Ihre Herzensverhärtung bleibt anscheinend bis zum Schluss unverändert. Sie haben »endlich auf die eigenen Bedürfnisse geschaut«, »sich selbst etwas Gutes getan«, sich selbst verwirklicht – und sind dabei über Leichen gegangen. Für den Beobachter ist das Leben dieser drei bedrückend und abschreckend, im Gegensatz zum fruchtbaren Scheitern der sechs anderen, die den Mist, den sie gebaut haben, zu Humus machen konnten. Die Herzenswende ist für den unbeteiligten Zuseher bewegend, denn die Erfahrung des Scheiterns und des Schuldigwerdens ist allgemein menschlich. Diese Art der inneren Wende ist auch das Erfolgsrezept vieler bekannter Filme, wie etwa des in Kapitel 8 beschriebenen »Das Leben der Anderen«. Abgesehen von manchen weltfremden Theoretikern ist sich die Menschheit hier sehr einig, dass Selbstlosigkeit und Schuldeinsicht edler sind als stumpfe Egozentrik und rücksichtslose Selbstverwirklichung.
Das Phänomen des menschlichen Scheiterns ist in den vergangenen Jahren zunehmend entdeckt worden. Eine Reihe von Ratgebern erklären heute, wie man »lässig«, »gescheit«, »besser« oder »schöner« scheitert, sprechen von der »Kunst«, der »Kraft«, dem »Charme« und sogar vom »Glück« des Scheiterns sowie von dessen »heilender Kraft«, davon, dass Scheitern »kein Fehler« und eine »Chance für ein neues Leben« sei. Das ist alles schön und erfreulich – aber ohne das Thema der eigenen Schuld bleiben alle diese Bücher merkwürdig zahnlos. Manche Ratgeber tappen sogar in die Falle der Fremdbeschuldigung und blockieren damit die eigentliche Lösung: Wenn man nur gescheitert ist, weil man einem Bösewicht begegnet ist, ist man wieder in der Opferfalle. Die eigene Schuld ist das Scheitern schlechthin – und damit die schmerzhafteste und innerste Form. Diese anzunehmen, ohne sie zu verdrängen, macht wahrhaft frei.
ZUSAMMENFASSUNG: Schuld wird man los, indem man sie annimmt. Der selbstauferlegte Anspruch auf Fehlerlosigkeit überfordert und erdrückt das menschliche Leben. Irren ist menschlich, und Scheitern gehört zum Leben! Die Schuldannahme bewirkt einen Freiheitsgewinn und macht durch laufende Kurskorrektur ein geglücktes Leben möglich. Wende des Herzens bedeutet die Wegwendung von der Egozentrik und Hinwendung zum Du – und damit zu einem sinnvollen Leben.
Literatur
Adler, Alfred: Gesammelte Werke in 7 Bänden. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007
Allers, Rudolf: Das Werden der sittlichen Person. Wesen und Erziehung des Charakters. Herder, Freiburg im Breisgau 1935
Aristoteles: Nikomachische Ethik. Rowohlt, Reinbek 2006
Bauer, Joachim: Schmerzgrenze: Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt. Karl Blessing, München 2011
Buber, Martin: Schuld und Schuldgefühle, Gesammelte Werke, Erster Band, Schriften zur Philosophie, S. Fischer, Frankfurt am Main 1963,
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