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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Manuel herumkommandierte.
    Alles drängte sich in der Küche um das kalte Büfett. Unbeachtet lief im leeren Wohnzimmer Wencke Myhres ›Beiß nicht gleich in jeden Apfel‹; Philipp hatte die Hits des Jahres 1966 aufgelegt.
    Mein Arbeitszimmer war leer. Das Telephon klingelte. Ich schloß die Tür hinter mir. Die Fröhlichkeit des Fests drang nur noch gedämpft an mein Ohr. Alle Freunde waren da – wer mochte anrufen?
    »Onkel Gerd?« Es war Tyberg. »Ein gutes neues Jahr! Judith hat erzählt, und ich habe die Zeitung gelesen. Es scheint, Sie haben den Fall Korten gelöst.«
    »Hallo, Herr Tyberg. Auch Ihnen alles Gute im neuen Jahr. Werden Sie das Kapitel über den Prozeß schreiben?«
    »Ich zeige es Ihnen, wenn Sie mich besuchen. Das Frühjahr ist schön am Lago Maggiore.«
    »Ich werde kommen. Bis dann.«
    Tyberg hatte verstanden. Es tat mir gut, einen heimlichen Mitwisser zu haben, der mich nicht um Rechenschaft fragen würde.
    Die Tür sprang auf, und meine Gäste verlangten nach mir. »Wo versteckst du dich denn, Gerd. Füruzan führt uns gleich einen Bauchtanz vor.« Wir räumten eine Tanzfläche frei, und Philipp schraubte eine rote Birne in die Lampe. Füruzan kam in einem Schleier-, kordel- und glitzerbehängten Bikini aus dem Badezimmer. Manuel und Jan fielen schier die Augen aus dem Kopf. Die Musik begann klagend und langsam, und Füruzans erste Bewegungen waren von ruhiger, lasziver Geschmeidigkeit. Dann steigerte sich die Musik und mit ihr der Rhythmus von Füruzans Tanz. Röschen fing an zu klatschen, alle fielen ein. Füruzan löste die Schleier, ließ rasend die Kordel kreisen, die sie im Bauchnabel verankert hatte, und der Zimmerboden bebte. Als die Musik erstarb, endete Füruzan den Tanz in triumphierender Pose und warf sich Philipp in die Arme. »Das ist die Liebe der Türken«, lachte Philipp. »Lach du nur, ich krieg dich schon, mit türkischen Frauen spielt man nicht.« Sie sah ihm stolz ins Auge. Ich brachte ihr meinen Hausmantel.
    »Halt«, rief Eberhard, als sich das Publikum wieder auflösen wollte. »Ich lade Sie ein zur atemberaubenden Show des großen Magiers Ebus Erus Hardabakus.« Und er ließ Ringe kreisen und ineinandergreifen und auseinanderfallen, aus gelben Tüchern rote werden, zauberte Münzen her und wieder weg, und Manuel durfte kontrollieren, daß alles mit rechten Dingen zuging. Der Trick mit der weißen Maus ging schief. Turbo sprang bei ihrem Anblick auf den Tisch, warf den Zylinder um, in dem Eberhard sie hatte verschwinden lassen, jagte sie durch die Wohnung und brach ihr hinter dem Eisschrank spielerisch das Genick, ehe einer von uns intervenieren konnte. Daraufhin wollte Eberhard Turbo das Genick brechen, zum Glück fiel ihm Röschen in den Arm.
    Jan war dran. Er brachte ›Die Füße im Feuer‹ von Conrad Ferdinand Meyer zum Vortrag. Neben mir saß bang Hadwig, und ihre Lippen sprachen das Gedicht stumm mit. »Mein ist die Rache, spricht der Herr«, donnerte Jan zum Schluß.
    »Füllt Gläser und Teller und kommt wieder her«, rief Babs, »die Show geht weiter.« Sie tuschelte mit Röschen und Georg, und die drei schoben Tische und Stühle weg und machten aus der Tanzfläche eine kleine Bühne. Filme raten. Babs pustete aus vollen Backen, und Röschen und Georg liefen davon. »Vom Winde verweht«, rief Nägelsbach. Dann schlugen Georg und Röschen aufeinander ein, bis Babs zwischen sie trat, ihre Hände nahm und ineinanderlegte. »Kemal Atatürk im Krieg und im Frieden!«
    »Zu türkisch, Fürzchen«, sagte Philipp und tätschelte ihren Oberschenkel, »aber ist sie nicht gescheit?«
    Es war halb zwölf, und ich vergewisserte mich, daß genug Sekt im Eis lag. Im Wohnzimmer hatten Röschen und Georg die Musikanlage übernommen und jagten die alten Platten in die Lautsprecher. »Eins und eins, das macht zwei«, sang Hildegard Knef, und Philipp versuchte, Babs durch den engen Korridor zu walzen. Die Kinder spielten mit dem Kater Fangen. Im Bad duschte Füruzan den Schweiß des Bauchtanzes ab. Brigitte kam zu mir in die Küche und gab mir einen Kuß. »Ein schönes Fest.«
    Fast hätte ich das Klingeln überhört. Ich drückte auf den Türöffner, aber dann sah ich durch das gehämmerte Glas der Wohnungstür die grüne Silhouette und wußte, daß der Besucher schon oben war. Ich öffnete. Vor mir stand Herzog in Uniform.
    »Es tut mir leid, Herr Selb …«
    Das war also das Ende. Man sagt, es passiere kurz vor der Hinrichtung, aber mir schossen jetzt wie ein Film die

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