Selbs Justiz
doch nicht, daß Korten im Gespräch zusammenbricht und bekennt?«
»Glaubst du, daß die Polizei ihn überführt?« Es widerstrebte mir, die Diskussion darüber zu führen, was mit Korten zu geschehen habe.
Judith nahm noch eine Zigarette aus dem Päckchen und rollte sie zwischen den Fingerkuppen beider Hände. Sie sah traurig aus, ausgelaugt vom Hin und Her um den Mord an Peter, auch genervt, als wolle sie das alles endlich, endlich hinter sich lassen. »Ich werde mit Tyberg reden. Du hast doch nichts dagegen?«
In dieser Nacht träumte ich, daß Herzog mich verhörte. »Warum sind Sie nicht zur Polizei gekommen?«
»Was hätte die Polizei denn machen können?«
»Oh, wir haben heute beeindruckende Möglichkeiten. Kommen Sie, ich zeig sie Ihnen.« Durch lange Korridore über viele Treppen kamen wir in einen Raum, wie ich ihn aus mittelalterlichen Schlössern kannte, mit Zangen, Eisen, Masken, Ketten, Peitschen, Riemen und Nadeln. Im Kamin brannte ein Höllenfeuer. Herzog zeigte auf das Streckbett. »Hier hätten wir Korten schon zum Reden gebracht. Warum hatten Sie auch kein Vertrauen zur Polizei? Jetzt müssen Sie selber hier drauf.« Ich wehrte mich nicht und wurde festgeschnallt. Als ich mich nicht mehr bewegen konnte, stieg die Panik in mir hoch. Ich muß geschrien haben, ehe ich aufwachte. Brigitte hatte das Nachttischlämpchen angeschaltet und wandte sich mir besorgt zu.
»Ist doch alles gut, Gerd. Niemand tut dir was.«
Ich strampelte mich aus den Laken, die mich beengten. »Ach Gott, war das ein Traum.«
»Erzähl ihn, dann geht’s dir besser.«
Ich wollte nicht, und sie war gekränkt. »Ich merk doch, Gerd, daß die ganze Zeit schon irgend etwas nicht stimmt mit dir. Manchmal bist du gar nicht da.«
Ich kuschelte mich in ihre Arme. »Es geht schon vorbei, Brigitte. Es hat nichts mit dir zu tun. Hab ein bißchen Geduld mit einem alten Mann.«
Erst an Silvester berichteten die Medien über Kortens Tod. Ein tragischer Unfall hatte ihn in seinem Feriendomizil in der Bretagne am Morgen des Heiligen Abends bei einem Spaziergang über die Klippen ins Meer stürzen lassen. Die Informationen, die bei Presse und Rundfunk zu Kortens siebzigstem Geburtstag zusammengetragen worden waren, gingen jetzt in die Nachrufe und Elogen ein. Mit Korten endete eine Epoche, die Epoche der großen Männer des Wiederaufbaus. Die Beerdigung sollte Anfang Januar stattfinden, in Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Bundeskanzlers, des Bundeswirtschaftsministers sowie des vollzähligen rheinlandpfälzischen Kabinetts. Seinem Sohn konnte für seine Karriere wenig Besseres passieren. Ich würde als Schwager eingeladen werden, aber nicht hingehen. Ich würde auch seiner Frau Helga nicht kondolieren.
Ich neidete ihm seinen Ruhm nicht. Ich verzieh ihm auch nicht. Morden heißt, nicht verzeihen müssen.
21
Es tut mir leid, Herr Selb
Babs, Röschen und Georg kamen um sieben. Brigitte und ich hatten gerade die Festvorbereitungen abgeschlossen, die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet und saßen mit Manuel auf dem Sofa.
»Das ist sie also!« Babs sah Brigitte neugierig und wohlwollend an und gab ihr einen Kuß.
»Alle Achtung, Onkel Gerd«, sagte Röschen. »Und der Weihnachtsbaum ist echt cool.«
Ich gab ihnen ihre Geschenke. »Aber Gerd«, sagte Babs vorwurfsvoll, »wir hatten doch ausgemacht, uns dieses Jahr nichts zu schenken«, und holte ihr Päckchen raus. »Das ist von uns dreien.« Babs und Röschen hatten einen dunkelroten Pullover gestrickt, in den Georg an der richtigen Stelle einen elektrischen Schaltkreis mit acht herzförmig angeordneten Lämpchen integriert hatte. Als ich den Pullover überzog, begannen die Lämpchen im Rhythmus meines Herzschlags zu blinken.
Dann kamen Herr und Frau Nägelsbach. Er trug einen schwarzen Anzug, steifen Stehkragen und Fliege, auf der Nase einen Kneifer und war Karl Kraus. Sie hatte ein Finde-siècle-Kleid an. »Frau Gabler?« begrüßte ich vorsichtig. Sie machte einen Knicks und gesellte sich zu den Frauen. Er betrachtete mißbilligend den Weihnachtsbaum. »Bürgerlichkeit, die sich nicht mehr ernst nehmen und doch nicht aus ihrer Haut kann …«
Die Klingel stand nicht still. Eberhard kam mit einem kleinen Köfferchen. »Ich habe ein paar Zauberkunststücke vorbereitet.« Philipp brachte Füruzan mit, eine rassige, üppige türkische Krankenschwester. »Fürzchen tanzt Bauch!« Hadwig, eine Freundin von Brigitte, hatte Jan dabei, ihren vierzehnjährigen Sohn, der sogleich
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