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Selbs Mord

Selbs Mord

Titel: Selbs Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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er wolle mich kaufen. Dann dachte ich: Warum eigentlich? Warum denke ich immer gleich so was? Wir hatten ein gutes Gespräch. Daß ich mit Wirtschaftsdelikten zu tun hatte, daß ich bei der Staatssicherheit war, daß ich aus dem Osten kam, hat ihn nicht gestört. Einen wie mich braucht er, hat er gesagt. Ich habe mir gesagt, daß ich an das glauben will, was er sagt, und an mich auch. Das Bankgeschäft ist keine Hexerei, habe ich mir gesagt und habe das Handelsblatt gelesen, auch wenn es keine leichte Kost ist, und habe mir Bücher über Betriebswirtschaft und Unternehmensführung und Buchhaltung besorgt. Wissen Sie, die aus dem Westen kochen auch nur mit Wasser. Und kennen nicht mal Land und Leute. Ich kenne meine Sorben.«
    Ich weiß nicht, was mit mir los war. Mir kam ein Schlager von Peter Alexander aus den sechziger Jahren in den Sinn, Text und Melodie: »Ich zähle täglich meine Sorgen …« Ich zähle täglich meine Sorben?
    »Ich habe mir wirklich Mühe gegeben.« Er starrte vor sich hin. »Aber ich hatte wieder die Sprache nicht verstanden. Was Welker eigentlich gesagt hat, war, was Sie gleich verstanden haben: Ich brauche einen Tölpel, der nicht kapiert, was hier wirklich läuft. Der Karl-Heinz Ulbrich, der ist der Tölpel.«
    »Wann haben Sie’s kapiert?«
    »Ach, schon vor Wochen. Durch einen Zufall. Wir haben jede Menge kleiner Filialen auf dem Land, und ich habe gedacht, ich müßte sie kennenlernen, und habe sie besucht, immer wieder mal eine. Eines Tages komme ich in so ein winziges Kaff, fünf graue Häuser, verrammelt, wie wenn niemand drin wohnt, an einer kleinen Straße, die nirgendwohin führt, und die Filiale macht auch nichts her, und ich denke, was macht die hier überhaupt. Na ja, was macht sie. Halt ein Platz, um Geld unterzubringen. Ich habe nicht lange gebraucht, es rauszukriegen. Wenn ich’s erst mal wissen will …«
    »Ich weiß, im Beschatten sind Sie nicht zu schlagen.«
    »Ich habe nicht nur beschattet. Ich habe mich auch sonst kundig gemacht. Welker ist nicht die Mafia. Seine Leute sind Russen, und er arbeitet für Russen, das ist alles. Bevor seine Leute für ihn gearbeitet haben, haben sie für den anderen gearbeitet, den er erschossen hat. Er arbeitet auch nicht nur für Russen. Er ist unabhängig, macht zwischen vier und sechs Prozent Gewinn, was nicht viel ist, aber Geldwäsche bringt nun mal nicht mehr. Erst die Menge macht’s. Die macht’s aber auch wirklich, und was Vera und ich mitgekriegt haben – das Waschen von Bargeld –, ist nur ein Zubrot, den Kunden zuliebe. Das eigentliche Geschäft ist das Waschen von Buchgeld.«
    »Sind Sie zur Polizei gegangen?«
    »Nein. Wenn es auffliegt, ist auch die Sorbische erledigt und stehen die Kollegen und Kolleginnen auf der Straße. Ich habe nicht lange in den Büchern lesen müssen, um zu sehen, daß wir viel zuviel Personal haben. Schwetzingen rührt nur nicht dran, damit es keine Unruhe gibt. Und wissen Sie, was ich mir noch sage? Früher gab’s das bei uns nicht. Das haben eure gebracht. Soll auch eure Polizei damit fertig werden.«
    »Sie können sicher sein, daß bei uns in Schwetzingen früher ebensowenig Geld gewaschen wurde wie bei euch in Cottbus. Haben Sie mir nicht von Tschetschenen, Georgiern und Aserbaidschanern …«
    »Bei uns blieben die Tschetschenen in Tschetschenien und die Georgier in Georgien. Ihr habt alles durcheinandergebracht.« Er hatte sich sein Bild gemacht und ließ daran nicht rütteln. Sein Gesicht war entschlossen, und wenn es die Entschlossenheit der Verbohrtheit war.
    »Was jetzt? Warum sind Sie hier? Ich denke, Sie haben Ihren Frieden damit gemacht, daß …«
    »Meinen Frieden?« Er sah mich fassungslos an. »Sie denken, weil ich nicht zur Polizei gegangen bin, habe ich mich mit den Verhöhnungen, Beleidigungen, Demütigungen, Erniedrigungen«, er suchte nach weiteren passenden Begriffen, fand aber keine, »abgefunden? Ich werde etwas tun!«
    »Seit wann sind Sie hier?«
    »Seit einer Woche. Ich habe Urlaub genommen. Ich werde etwas tun, was Welker nicht vergessen wird.«
    »Ach, Herr Ulbrich. Ich weiß nicht, was Sie tun wollen. Aber ist nicht auch dann die Sorbische erledigt, und die Kollegen und Kolleginnen stehen auf der Straße? Welker hat Sie nicht verhöhnt und was Sie noch alles gesagt haben. Er hat Sie benutzt, wie er andere auch benutzt, ob Ossi oder Wessi. Das ist nicht so persönlich gemeint, wie Sie’s nehmen.«
    »Er hat gesagt …«
    »Aber er spricht nicht Ihre Sprache.

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