Selbst ist der Mensch
Muskelzellen teilen), und mit einer faserartigen, als Axon bezeichneten Verlängerung und deren Endabschnitt, der Synapse, können die Neuronen Signale an andere, oftmals weit entfernte Zellen senden – an weitere Neuronen oder auch an Muskelzellen. Die Neuronen konzentrieren sich zum größten Teil im Zentralnervensystem (oder kurz gesagt, im Gehirn), übermitteln ihre Signale aber sowohl in den gesamten Körper als auch in die Außenwelt, und aus beiden Richtungen empfangen sie auch Signale.
Die Zahl der Neuronen in einem menschlichen Gehirn liegt in der Größenordnung von vielen Milliarden, und die Zahl der Synapsenverbindungen zwischen den Neuronen geht in die Billionen. Neuronen sind in mikroskopisch kleinen Schaltkreisen organisiert; diese bilden größere Schaltkreise, aus denen schließlich Netzwerke oder Systeme entstehen. Weitere Informationen über Neuronen und den Aufbau des Gehirns finden sich in Kapitel 2 und im Anhang.
Der Geist erwächst aus der Aktivität kleiner Schaltkreise in großen Netzwerken, die so organisiert wird, dass sich kurzzeitige Muster ergeben. Diese Muster repräsentieren Dinge und Ereignisse, die sich außerhalb des Gehirns entweder im Körper oder in der Außenwelt befinden; manche Muster bilden aber offenbar auch die Verarbeitung anderer Muster im Gehirn selbst ab. Alle diese Abbildungsmuster werden als Karten (im Sinne von Landkarten) bezeichnet; manche davon sind grob, andere sehr detailliert, manche konkret, andere abstrakt. Kurz gesagt, kartiert das Gehirn sowohl seine Umwelt als auch seine eigene Tätigkeit. Solche Karten erleben wir in unserem Geist als Bilder ; der Begriff bezeichnet dabei nicht nur visuelle Abbildungen, sondern alle Eindrücke, die mit den Sinnen wahrgenommen werden, also auch akustische, ertastete oder »Bauchgefühle«.
Wenden wir uns nun dem Gerüst zu. Für die Vermutungen darüber, wie das Gehirn dieses oder jenes Phänomen erzeugt, ist der Begriff Theorie ein wenig deplatziert. Solange Theorien nicht einen sehr großen Umfang haben, sind sie meist nur Hypothesen. Was ich in diesem Buch formuliere, ist aber mehr als nur eine Hypothese: Es umfasst mehrere hypothetische Bestandteile für diesen oder jenen Aspekt der Phänomene, die ich beschreiben möchte. Was wir zu erklären hoffen, ist so komplex, dass man es nicht mit einer einzigen Hypothese beschreiben und nicht mit einem einzigen Mechanismus erklären kann. Deshalb habe ich mich zur zusammenfassenden Bezeichnung dieser Bemühungen für den Begriff Gerüst entschieden.
Um den hochtrabenden Titel zu rechtfertigen, müssen die in den folgenden Kapiteln skizzierten Gedanken bestimmten Anforderungen gerecht werden. Da wir einerseits verstehen wollen, wie das Gehirn einen bewussten Geist erzeugt, es andererseits aber völlig unmöglich ist, sich beim Zusammenbauen einer Erklärung gleichzeitig mit allen Ebenen der Gehirnfunktion zu beschäftigen, muss das Gerüst festlegen, für welche Ebene die Erklärung gilt. Wir sprechen von der Ebene, auf der die makroskopischen, aus Neuronenschaltkreisen zusammengesetzten Gehirnregionen untereinander in Wechselbeziehung treten und umfangreiche Systeme bilden. Dabei handelt es sich zwangsläufig um makroskopische Systeme, aber die mikroskopische Anatomie, die ihnen zugrunde liegt, ist teilweise bekannt, und ebenso weiß man, nach welchen Grundregeln die Neuronen funktionieren, aus denen sie zusammengesetzt sind. Solche großen Systeme sind der Untersuchung mit zahlreichen alten und neuen Methoden zugänglich. Dazu gehören die moderne Version der Läsionsmethode (die Untersuchung von Patienten, bei denen umgrenzte Gehirnschäden vorliegen, mit bildgebenden Verfahren sowie kognitiven und neuropsychologischen Tests), die Funktionsdarstellung mit bildgebenden Verfahren (Magnetresonanz-Scanaufnahmen, Positronen-Emissions-Tomographie, Magnetenzephalographie und verschiedene elektrophysiologische Methoden), die unmittelbare neurophysiologische Aufzeichnung der Neuronenaktivität im Rahmen neurochirurgischer Therapien, und die transkranielle Magnetstimulation.
Das Gerüst muss Verbindungen zwischen Verhalten, Geist und den Vorgängen im Gehirn herstellen. Um diesem zweiten Ziel gerecht zu werden, stellt es Verhalten, Geist und Gehirn eng nebeneinander; und da es auch auf die Evolutionsbiologie zurückgreift, stellt es das Bewusstsein in einen historischen Zusammenhang – ein angemessenes Vorgehen für Lebewesen, die sich in der Evolution durch natürliche
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