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Selbstmord (German Edition)

Selbstmord (German Edition)

Titel: Selbstmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Édouard Levé
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geradewegs auf ihn zu, schnappte ihn und schleuderte ihn mit seinem Maul wie eine Maus hin und her. Er hätte ihn getötet, wenn man die beiden nicht getrennt hätte. Ihr besaßt den gleichen Blick.
    Dein Selbstmord war eine Handlung, die sich selbst zuwiderhandelte: der Ausdruck einer Lebenskraft, die ihren eigenen Tod hervorbringt.
    Wenn du dabei warst, sprach deine Frau nicht. Ich kann mich nicht an ihre Stimme erinnern. Man hat an ihrem Blick erkannt, ob sie dir zustimmte oder nicht. Du warst der Mensch, den sie am meisten anschaute, wer auch immer mit euch zusammen war. Ihre Schüchternheit gab dir Sicherheit. Ihre Diskretion ging Hand in Hand mit deinem Schweigen. Ihr habt dieselben Zigaretten geraucht. Ihr hattet ein gemeinsames Päckchen. Sie fuhr Auto, du Motorrad. Ihr hattet keine Kinder. Sie hat gearbeitet. Sie hat Geld für euch beide verdient, während du dein Wirtschaftsstudium verfolgtest. Sie bewunderte deine Theorien und deine Art zu sprechen. Was ist aus ihr geworden? Hat sie sich wieder gefangen nach deinem Tod? Denkt sie an dich, wenn sie mit jemandem schläft? Hat sie wieder geheiratet? Hast du auch sie getötet, als du dich getötet hast? Hat sie einen Sohn nach dir benannt? Falls sie eine Tochter hat, hat sie ihr von dir erzählt? Was macht sie an deinem Geburtstag? Und an deinem Todestag? Pflanzt sie Blumen auf dein Grab? Wo sind die Fotos, die sie von dir gemacht hat? Hat sie deine Kleider aufbewahrt? Haftet ihnen noch immer dein Geruch an? Benutzt sie dein Parfum? Was hat sie mit deinen Zeichnungen gemacht? Hängen sie gerahmt in einem Zimmer ihrer Wohnung? Hat sie dir ein Museum errichtet? Welche Männer waren deine Nachfolger? Kannten sie dich? Oder macht die Erinnerung an dich jeden Nachfolger unmöglich?
    Wenn morgens die Fensterläden noch geschlossen waren und du beim Erwachen in der Dunkelheit in deinem Bett lagst, flossen deine Gedanken wie Wasser. Sie verdüsterten sich, wenn du dich erhobst und die Vorhänge aufzogst. Die Gewaltsamkeit des Tages löschte die nächtliche Klarheit aus. In der Nacht bot dir der Schlaf deiner Frau eine helle Einsamkeit. Am Tag waren die Leute Mauern, die dich spalteten und daran hinderten zu vernehmen, was du nachts hören konntest: die Stimme deines Hirns.
    Alle Rockballaden, die ich im Kopf habe, sind von dir besetzt. Wenn ich bestimmte Lieder höre, färben sie sich mit deiner diffusen Gegenwart ein. Du hast keine Gedichte gelesen, doch du hast welche rezitiert. Es waren die Texte der Lieder, die du mochtest, ohne die dazugehörige Musik. Deine Poesie war Rock.
    Du sagtest, man solle Rock lieber in einer Sprache hören, die man schlecht beherrsche. Die Worte seien schöner, wenn man sie nur halb verstünde. Und der Dadaismus hätte guten Rock hervorgebracht, wenn beide zur gleichen Zeit aufgetaucht wären.
    Du hast keinen Psychoanalytiker konsultiert, dafür aber viel Zeit damit verbracht, dich selbst zu analysieren. Du hast Freud, Jung und Lacan gelesen. Du dachtest über die Psychoanalyse nach, doch unterziehen wolltest du dich keiner. Du warst der Meinung, dass eine Therapie dich normalisiert hätte oder dass sie die Fremdheit, die du kultiviertest, banalisieren würde. Du hörtest gerne anderen zu. Und man vertraute sich dir an. In deiner stillen, aufmerksamen und anregenden Art hast du weniger dir geholfen als denen, die sich dir mitteilten.
    Du hast Sätze aufgelesen, die Passanten auf der Straße äußerten. Einer deiner Lieblingssätze war: »Ich mag Hunde, aber Dinosaurier liebe ich.«
    Du hast Eigennamen gesammelt. Du hattest eine Wahlliste eingerahmt, die Kandidaten mit verstörenden Familiennamen enthielt.
    Auf einer Kassette hast du eine Reihe von Nachrichten aufbewahrt, die irrtümlich auf deinem Anrufbeantworter hinterlassen worden waren. Eine davon lautete: »Wir sind gut angekommen. Wir sind gut angekommen. Wir sind gut angekommen.« Eine hoffnungslose, alte Frau hatte sie sehr langsam aufgesprochen.
    Wir führten unsere Gespräche in der Nacht, sie kannten keine andere Grenze als die Morgendämmerung. Einen Abend lang redetest du acht Stunden lang ohne Unterbrechung in stetigem Wechsel über Freud und Marx einerseits und die Kondratjew-Zyklen andererseits. Deine Abschweifungen weiteten sich in dem Maße aus, wie du die Alkoholvorräte deiner Mutter leertest und beliebig mischtest. Bei Tagesanbruch hast du den »Kondratjew-Cocktail« erfunden und aus jeder der fünfzehn Flaschen einen Schuss in ein großes Glas gegossen. Der

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