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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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meiner Zeit als Richterin, als alleinerziehende Mutter dreier Kinder und als Politikerin. Dass ich – eine Frau Jahrgang 1932 – emanzipiert und engagiert durchs Leben gehe, schien ihn zu erstaunen. Er bat mich, von meinem Einsatz für die Rechte von Frauen, Kindern und Vätern zu berichten, von den Widerständen, die ich hatte überwinden können, und den Reformen, die ich hatte mitbewirken können. Großes Interesse zeigte mein Gesprächspartner auch für mein einstiges Hobby – die Autorallyes.
    Irgendwann fragte er mich, wie es denn insgesamt gewesen sei, ein Leben zu führen, das vollkommen anders war als das der meisten Frauen meiner und anscheinend auch seiner Generation. Die Frage hatte ich mir nie gestellt. Meine Art zu leben war für mich schon immer selbstverständlich. Sie beruht nicht auf dem Wunsch, mich Konventionen zu widersetzen oder mich von anderen Frauen zu distanzieren. Aber ich fand es erfreulich, einem Mann zu begegnen, der vom Alter her mein Sohn oder Enkel hätte sein können und sich so sehr für die gesellschaftliche Stellung der Frau seit den fünfziger Jahren bis heute interessierte. Wie kann es sein, dass heute noch immer bei weitem keine Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen herrscht?, fragte er sich und mich. Ich war für ihn eine Art Sonderfall. Eine Frau, die – so weit möglich – selbstverständlich gleichberechtigt lebt und denkt.
    So überzeugte er mich schließlich doch, ein Buch zu schreiben. Keine Autobiographie im engeren Sinne, schon gar keine ausschweifenden »Memoiren« – sondern einen Bericht über sechzig Jahre gelebte Gleichberechtigung ; eine autobiographische Zeitgeschichte.
    Der junge Mann arbeitete für eine Agentur, die Autoren gegenüber Verlagen vertritt. Er stellte den Kontakt zum Verlag Hoffmann und Campe her, und wir beauftragten eine auf Biographien spezialisierte Journalistin, mich beim Schreiben zu unterstützen. Ich erzählte meiner Tochter Andrea von den Plänen und fragte sie: »Darf ich jetzt vielleicht doch einen Verlagsvertrag unterschreiben?« Sie blickte mich streng an, überlegte einen Augenblick, dann sagte sie: »Das ist ja etwas anderes! Wenn du nicht Wort für Wort selbst schreiben und dafür jede freie Minute opfern musst, ist das in Ordnung. Denn dein Leben ist wahrhaftig erzählenswert!«

    Was muss ich erzählen? Was lasse ich weg? Die Auswahl der Episoden und Ereignisse für dieses Buch empfand ich als eine der schwierigsten Aufgaben. Auf keinen Fall wollte ich meinen Bericht ausufern lassen, auf keinen Fall das Hauptthema, die gelebte Gleichberechtigung, aus Lust am Erzählen vernachlässigen. Zugleich aber fand ich es wichtig, ein Bild der sozialen und politischen Hintergründe und der jeweiligen Zeitkultur zu zeigen, damit es jüngeren Lesern und Leserinnen möglich ist, Ereignisse einzuordnen. Auch lag es mir am Herzen, meine eigenen Gedanken, Anliegen und Entwicklungen nachvollziehbar zu machen – sowie meine Unsicherheiten, Schwächen und Fehler auf keinen Fall zu verschweigen. Ungenannt bleiben hingegen viele Aufgaben, die ich in meinem Leben übernahm, und Ehrungen, die ich erfahren durfte.
    Allerdings darf ich zwei Auszeichnungen schon aus Höflichkeit, aber vor allem aus Dankbarkeit nicht unter den Tisch fallen lassen: die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse durch den Bundespräsidenten und die Ernennung zur Stadtältesten von Berlin durch den Regierenden Bürgermeister von Berlin. Beides geschah im Jahr 2004.
    Stolz auf das zu sein, was ich gesellschaftlich und beruflich mitbewirken konnte, entspricht mir nicht. Es macht mich froh, dass sich manches gebessert hat. Aber vieles hat sich noch nicht gebessert, und vieles ist mir nicht so gut gelungen, wie ich es mir gewünscht hätte.

    »Na, hast du noch mal drüber nachgedacht? Ich meine immer noch, du solltest ein Buch schreiben«, bemerkte neulich Hubertus Meyer-Burckhardt, als wir uns zufällig trafen, und lachte. Er ging davon aus, auf Granit zu beißen wie bei den letzten fünf bis acht Gelegenheiten, bei denen er mir ein Buchprojekt vorgeschlagen hatte.
    »Du wirst es nicht glauben: Jetzt sieht es wirklich danach aus, als würde es bald eines geben«, gab ich zurück.
    »Wirklich? Wie schön! Es wird aber auch Zeit!«

    Ja, Zeit wird es. Oder besser: Zeit ist es! Denn gerade jetzt flammt die sogenannte Quotendiskussion neu und heftig wieder auf. Auch heute, 63 Jahre nach Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgrundrechts in Artikel 3, Absatz 2

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