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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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großer politischer Erfolg.
    Dass eine Richterin in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an einem deutschen Gericht weniger Rechte haben sollte als ihre männlichen Kollegen, fand ich aber nicht nur aufgrund der Diskriminierung und der Gesetzeswidrigkeit haarsträubend, sondern vor allem deshalb, weil die Erklärung, der Vorsitzende nehme keine Frauen, nur ein Scheinargument war. Offene Ablehnung, formuliert mit Worten wie »Das können Sie vergessen«, akzeptiere ich, wenn es dafür sachliche Gründe gibt. Hätte die Erklärung beispielsweise gelautet: »Die Kammer ist voll besetzt«, dann hätte ich mich für die Information bedankt – und gut. Die Begründung, die der Präsidialrichter mir nannte, war jedoch völlig irrational. Genauso hätte er sagen können: »Der Vorsitzende der Pressekammer nimmt keine Kaffeetrinker« oder »keine Richter mit Ihrer Schuhgröße« oder »keine Opernfreunde«. Da ich ein sachlicher und argumentativer Mensch bin, fällt es mir bis heute schwer, derartige Äußerungen ernst zu nehmen oder gar zu akzeptieren.
    Für mich gab es auf die Auskunft nur eine einzige logische Reaktion: mit dem Vorsitzenden, der angeblich keine Frauen nahm, persönlich zu sprechen. Es handelte sich dabei um Manfred Engelschall, der in Hamburg bereits ein recht bekannter Richter war. Später gelangte er als Presserichter zu bundesweitem Ruhm, und nach seiner Pensionierung vertrat er als Rechtsanwalt viele Prominente und Adlige gegenüber den Medien.
    Ohne lange nachzudenken, marschierte ich zu Herrn Engelschalls Dienstzimmer. Heute noch sehe ich die geschlossene Tür vor mir; sie hatte Glasfüllungen, dahinter war eine Gestalt zu erkennen. Ich klopfte – und hörte eine laute, barsche Stimme: »Herein!« Als ich eintrat, schaute er mich leicht verwundert an, wir hatten zuvor noch nie miteinander gesprochen.
    »Guten Tag«, sagte ich höflich, »mein Name ist Peschel, und ich bin Richterin hier im Hause.«
    »Ich weiß«, entgegnete er, was nicht verwunderlich war, da es nur vereinzelte Frauen am Hamburger Landgericht gab. Sein Ton klang schroff, überhaupt hatte er etwas Raubeiniges an sich. Dazu passte, dass er ein großer Segler war, ein Atlantiküberquerer. Direktheit, wenige Worte, rüdes Auftreten – zum Glück konnte ich damit umgehen.
    »Engelschall!«, bellte er mich an.
    »Das habe ich mir schon gedacht«, sagte ich mit meiner freundlichsten Stimme, »es steht ja auch draußen an der Tür.« Dann setzte ich ein schmelzendes Lächeln auf. »Ich habe gehört, Herr Engelschall, Sie möchten an Ihrer Kammer gern eine Frau haben. Ihnen kann geholfen werden!«
    Stille.
    Er sah mich an, als käme ich von einem anderen Stern.
    Stille.
    Es dauerte einige Sekunden, bis ihm seine gute Erziehung wieder einfiel. »Nehmen Sie Platz!«, raunzte er – ich setzte mich seelenruhig. »Nehmen Sie einen Sherry?« Seine Stimme klang weiterhin frostig, aber mir wurde klar: Das Eis war gebrochen.
    »Sehr gern«, nahm ich den Sherry an. Es folgte ein ungefähr zehnminütiges Gespräch.
    »Wie kommen Sie darauf? Nie habe ich gesagt, ich will eine Frau an der Pressekammer!«
    »Oh, dann habe ich das wohl falsch verstanden«, antwortete ich lieb und höflich. Und erklärte ihm, dass mich Pressesachen interessierten und warum. »Sie sind ja der Vorsitzende der einzigen Pressekammer hier im Hause, also: Wenn ich Presserecht machen möchte, kann ich es nur bei Ihnen tun. Deshalb würde ich gern zu Ihnen kommen.« – In einem weiterhin gewinnenden Ton.
    Und er, ruppig: »Aber Sie wissen, dass ich keine Frauen nehme!«
    »Nein, das weiß ich nicht.« Wie sollte ich es wissen? Die Information hatte ich ja nur vom Präsidialrichter. Vielleicht hatte der sich geirrt? »Aber wenn es denn so ist, dass Sie keine Frauen nehmen, darf ich Sie vielleicht bitten, mir Ihre Gründe darzulegen?«
    »Hm, na ja, Frauen können schwanger werden«, nuschelte er.
    »Das ist mir bewusst, Herr Engelschall, denn ich habe zwei Kinder«, erwiderte ich. »Aber ich würde Sie gern bitten, mir Argumente zu nennen. Schwangerschaften und Kinder sind keine Argumente gegen Frauen an der Pressekammer.«
    Er kam dann vom Thema ab: »Bestimmt wählen Sie ja Rot«, knurrte der offensichtlich konservative Richter. Auch dadurch ließ ich mich nicht beirren, für mich sah es schon ein bisschen nach einem Rückzugsgefecht aus. So erklärte ich ihm freundlich, dass ich mich nicht auf eine Partei festgelegt hätte, was der Wahrheit entsprach – ich war noch

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