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Sensenmann

Sensenmann

Titel: Sensenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clausia Puhlfürst
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Mandy, jetzt aber will ich Dir endlich vom ersten Schritt berichten! Sicher bist Du schon gespannt, wen ich mir als Erstes vorgenommen und wie ich ihn bestraft habe… Ist Dir Sieg fried Meller noch gegenwärtig? »Fischgesicht« nannten wir ihn im Geheimen, weil er diese hervorstehenden Augen hatte und seine aufgequollenen, viel zu roten Lippen immer ein erstauntes »O« formten. Eigentlich sah er ganz harmlos aus, fast ein bisschen dumm, was er nicht war. Er liebte Wasser in jeder Form, dieses Schwein. Daran erinnerst Du Dich aber noch? (Oder vielleicht hast Du aus gutem Grund gerade das »vergessen«?)
    Es tut mir sehr leid, wenn dies alles durch meinen Brief wieder in Dir aufgewühlt wird, aber vielleicht tröstet es Dich, dass Fischgesicht seine gerechte Strafe bekommen hat.
     
    Als ich ihn endlich aufgespürt hatte  – wie, ist nicht weiter wichtig, entscheidend ist nur, dass ich ihn aufgestöbert habe  – da musste ich feststellen, dass Meller sich nach fast dreißig Jahren gar nicht groß verändert hatte. Du hättest ihn bestimmt auch wiedererkannt. Noch immer glotzten diese wässrig blauen Augen aus dem aufgedunsenen Gesicht. Dazu der widerliche Mund! Am liebsten hätte ich ihm sofort die Faust in die Fresse  – entschuldige bitte den Kraftausdruck  – gehauen, aber ich konnte
mich dann doch beherrschen. Schläge wären für ihn viel zu einfach gewesen. Nein, mein Plan sieht vor, dass jeder auf die Art und Weise bestraft wird, die er damals selbst angewandt hat. Und Mellers Strafe musste mit Wasser zu tun haben, das ist doch klar, oder? Erinnerst Du Dich noch an das, was wir »chinesische Wasserfolter« nannten? Wie er uns immer und immer wieder den Kopf unter Wasser gedrückt hat? Nein? Vielleicht ist es besser so. Es war grausam. Meller jedoch liebte es, weil es keine sichtbaren Spuren an seinen Zöglingen hinterließ. Nichts, was man hätte vorzeigen können. Keiner hätte uns geglaubt.
     
    Ich hatte ziemlich lange mit den Vorarbeiten zu tun. Denn natürlich habe ich ihn nicht sofort besucht, nachdem ich endlich herausgefunden hatte, wo das Schwein wohnt. Ich musste zuallererst einen geeigneten Ort finden, an dem er und ich genügend Zeit miteinander hätten, ohne dass uns jemand störte. Die abbruchreifen Plattenbaublöcke am Rande Leipzigs waren für meine Pläne wie geschaffen. Wenn ich Glück hatte, würden sie die Betonklötze einfach abreißen, würden Mellers Leiche unter Bergen von Schutt begraben und seine zertrümmerten Knochen auf eine Halde fahren. Wenn nicht  – auch egal. Es kommt ja nicht darauf an, dass man die Leichen niemals findet. Natürlich ist es von Nutzen, wenn die Überreste nicht gleich entdeckt werden. Schließlich brauche ich noch Zeit, um mich um die anderen zu kümmern. Wenn sie mich zu schnell erwischen, schaffe ich nicht alle.
     
    Aber ich rede zu viel. Vielleicht, weil ich möchte, dass Du mich verstehst.
    Kanister für Kanister habe ich nachts in den vierten Stock geschleppt, einen Aufzug gab es nicht, und das Wasser war ja längst abgestellt. Bestimmt kannst Du Dir vorstellen, was das für eine Arbeit war! Aber die Mühe hat sich gelohnt!

     
    Nach den Vorbereitungen bin ich zu ihm gefahren. Er wohnte ganz allein in Wurzen. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, er hat gewohnt. Eigentlich müsste man doch annehmen, dass ein Mensch mit so einer Vergangenheit misstrauisch ist, aber weit gefehlt! Ein Paket  – da öffnet man doch gern seine Tür. Danach war alles ganz einfach. Schließlich bin ich mindestens fünfunddreißig Jahre jünger als das Schwein. Und ich habe seit Jahren im Fitnessstudio auf Kraft trainiert. Ehe er es sich versah, hatte ich die Pistole auf ihn gerichtet, ihn in seine verlotterte Küche gedrängt und gefesselt. Dass es nur eine, zugegebenermaßen ziemlich echte Nachbildung einer Pistole war, hat er in seiner Angst gar nicht bemerkt.
     
    Liebe Mandy, Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als es ihm endlich dämmerte, wer ich bin! Urkomisch war das. Er hat so sehr gezittert, dass sogar sein Gebiss angefangen hat, zu klappern. Ich musste ein wenig lachen. Ein Karpfen mit Gebiss! Natürlich hat er nichts bereut. Das hatte ich auch nicht erwartet, nicht bei Fischgesicht. Zuerst hat er so getan, als sei alles gar nicht wahr, hat versucht, meine Erinnerungen zu diffamieren, ein Kind könne sich doch nicht an alles genau entsinnen, ich würde ihn verwechseln … Als er gemerkt hat, dass ich mich nicht in die Irre führen lasse,

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