Sepp und seine Bande
veranstalteten sie wilde Verfolgungsjagden und Geländefahrten über die Pfade und Wege in den Rheinwiesen, doch diesmal verspürten sie einfach keine Lust dazu. Schmerzlich vermißten sie ihren Ball, den der Hausmeister gestern „beschlagnahmt“ hatte. Ja, jetzt gab es nur eines, was ihnen in die Nase stach: Fußball spielen!
Übrigens: wenn sie jetzt über ihren Ball hätten verfügen können, dann wäre es ihnen vielleicht gar nicht eingefallen, damit zu spielen — dann wären sie wahrscheinlich lieber mit ihren Rädern umhergesaust. Man will halt immer das haben, was man gerade nicht hat!
An der miesen Stimmung war natürlich kein anderer als dieser Neue, der Sepp, schuld, denn der hatte ja, meinten sie, seinen Vater dazu gebracht, den Wölfen den Ball nicht zurückzugeben, nachdem er durch die Fensterscheibe ins Wohnzimmer des Hausmeisters geflogen war.
Das war jedenfalls die Meinung des dicken Willem und seiner Bande — eine falsche Meinung, die sich in seinem Hirnkasten eingenistet hatte und kaum mehr daraus zu vertreiben war und an die er beharrlich und verblendet glaubte.
Während die Wölfe also hochsauer waren, fiel es der kleinen Erika, der Tochter des neuen Hausmeisters, ein, ihre Puppe Ursula — die mit den langen blonden Zöpfen — spazierenzufahren, damit auch sie einmal die neue Umgebung kennenlernte. Und — ahnungslos, wie sie war — mußte Erika ihren Puppenwagen ausgerechnet auf der Seite des Gehsteigs schieben, wo die Meute der Wölfe herumlungerte!
Das Mädchen hatte zwar mit der ganzen Fußballgeschichte und so weiter so wenig zu tun wie Napoleons Großmutter — das wußte auch der dicke Willem —, aber Erika war das fünfjährige Schwesterchen von Sepp, und da der Bruder im Augenblick nicht „greifbar“ war, mußte das Mädchen daran glauben.
Als Erika an den Jungen Vorbeigehen wollte, stolz darauf, ihnen Ursula und den neuen Puppenwagen zu zeigen, da drückte der dicke Willem, lässig und vornübergebeugt auf dem Gepäckträger hängend und mit den Beinen wie eine Ente paddelnd, sein Fahrrad vom Rinnstein auf den Gehsteig hinauf und stellte sich quer vor Erika mit ihrem Puppenwagen.
Das Mädchen blieb stehen und machte einen Schmollmund: „Laß mich vorbei, du!“
Der dicke Willem feixte. „Geh doch!“ spöttelte er.
Erika versuchte ihren Puppenwagen vorbeizuschieben, erst rechts am Vorderrad, dann links am Hinterrad — doch der dicke Willem rollte bald einen Meter vor, bald einen Meter zurück. Und umkehren konnte sie auch nicht, denn den Rückweg versperrten ihr gleich mehrere Jungen.
„Ich kann nicht vorbei“, piepste sie vorwurfsvoll. Der dicke Willem griente noch unverschämter. „Warum stellst du dich auch so dämlich an?“
„Das sag’ ich meinem großen Bruder. Der kommt und verhaut dich, du — du Böser!“
Ein schallendes Gelächter schlug ihr entgegen, höhnisch und hochmütig.
„Ja, sag’s ihm doch — deinem großen Bruder!“ stichelte der dicke Willem. „Wir warten ja nur darauf, daß er endlich kommt — der Angsthase.“
„Mein Bruder hat keine Angst!“ beteuerte Erika. „Warum verkriecht er sich dann wie eine Maus in ihr Loch?“
„Mein Bruder muß Aufgaben machen.“
„Strafarbeiten — keine Aufgaben! Weil er ein Faulpelz ist und ein Lügner!“
Erika schluckte erst heftig, ehe sie dem dicken Willem erbost entgegnete:
„Das — das sage ich meinem Bruder!“
„Das weiß der schon längst. Er ist sogar noch stolz darauf!“
„Du bist ein ganz, ganz Böser, du!“ schimpfte Erika und schlug mit ihrem Patschhändchen gegen Willems Bein.
„Geh, hol deinen großen, feigen Bruder, damit er mich verhauen kann.“
„Ja, das tu ich auch!“
„Und damit er auch wirklich kommt, dein großer, starker Bruder, behalten wir solange deinen Puppenwagen hier“, entschied der dicke Willem.
„Das ist mein Puppenwagen!“ kreischte Erika.
„Das sage ich ja, und eben drum bleibt er hier.“ Mit wahrer Affengeschwindigkeit schwang sich der dicke Willem vom Rad, riß dem kleinen Mädchen den Puppenwagen weg, kletterte am nächsten Baum hoch und hängte den Puppenwagen, den Männe ihm reichte, dort mit den Speichen eines Hinterrads am Stumpen eines abgesägten Astes auf.
Alles, was Erika noch hatte retten können, war ihre Puppe Ursula, die sie — wie eine Katzenmutter ihr Junges — dem Zugriff des Angreifers entrissen hatte. Laut schreiend flüchtete sie, wobei die Tränen ihr die Wangen näßten, als regne es ihr ins Gesicht. Das
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