Sepp und seine Bande
Augenblick nur eines: Du kannst mir weder das eine noch das andere vorzeigen. Stimmt das, Dallmayer?“
„Ja, Herr Doktor“, mußte Sepp kleinlaut gestehen. „Du hast mich erneut enttäuscht, und dabei bist du heute erst zum zweitenmal hier in der Klasse. Gib doch lieber offen zu, daß du gestern gefaulenzt hast. Das ist mir lieber, als wenn du lügst.“
„Ich lüge nicht!“
Sepp schrie die Worte fast hinaus, so erbost war er, daß der Lehrer an seiner Ehrlichkeit zweifelte.
Das spürte auch der Klassenlehrer. Er hob die Brauen und nickte dann.
„Gut, wie du willst. Du zeigst mir also morgen beides vor. Unaufgefordert! Ist das klar, Junge?“
„Ja, Herr Doktor.“
„Setzen!“
Sepp knirschte mit den Zähnen. Für ihn stand fest: Sein Nachbar hatte ihm diesen Streich gespielt! Und er nahm sich vor, es dem dicken Willem heimzuzahlen. Nur wußte er noch nicht, wie...
Nun, die Gelegenheit dazu kam schnell. Eine Viertelstunde war gerade verstrichen, als der Studienrat den verschlossenen Schrank öffnete und die Englischkladden für Klassenarbeiten verteilen ließ. Sepp erhielt ein nagelneues Heft.
Eine Klassenarbeit bedrückte die Jungen stets wie ein Alptraum. Wenn der gefürchtete Termin vorher bekannt war, gab es immer einige, die es verstanden, sich davor zu drücken: Sie ließen sich von ihren Eltern eine Entschuldigung schreiben, indem sie Bauchweh oder Zahnschmerzen vortäuschten, Kratzen im Hals, Ohrensausen und was es dergleichen mehr an Angstkrankheiten gibt, die man stets herbeirufen kann, wenn man sie gerade braucht.
Nur wußte diesmal vorher niemand genau, wann die englische Klassenarbeit fällig war — außer dem Lehrer natürlich. Die Unruhe, die sich der Schüler bemächtigt hatte, als die Hefte verteilt wurden, legte sich rasch, sobald Dr. Pöttgen verkündete:
„Wir machen nur eine kleine Niederschrift. In einer halben Stunde sind wir damit fertig. Hauptsache ist natürlich, daß ihr keine Fehler macht. Aber ich lege auch Wert darauf, daß die Arbeit einen sauberen Eindruck hinterläßt. Wörter, die x-mal durchgestrichen sind, sind daher ebenso unerwünscht wie Fettflecken und Tintenkleckse. Also: vorher überlegen — und dann schreiben!“
Ein Geraune ging durch die Klasse wie ein Windstoß durch ein Weizenfeld.
„So, Ruhe jetzt, Jungs!“ mahnte Dr. Pöttgen. „Nehmt euren Füller zur Hand, es geht los!“
Die Luft knisterte vor Spannung, als der Lehrer den ersten Satz der englischen Niederschrift laut und deutlich vorlas — und schon hörte man die Federn übers Papier kratzen wie die Krallen eines Hundes an einer verschlossenen Tür. Eine gespannte Stille füllte den Klassenraum, nur unterbrochen durch die klare Stimme des Lehrers und hin und wieder durch einen tiefen Seufzer, der sich der Brust eines Schülers entrang, wenn der arme Tropf sich verzweifelt fragte, ob man das eine oder andere verzwickte Wort so oder so schrieb.
Brillenschlange geriet nie in diesen Schwitzkasten. Der Klassenerste dünkte sich fast genauso schlau wie der Lehrer und wunderte sich darüber, daß Dr. Pött-gen so einen kinderleichten Text für die Arbeit ausgewählt hatte.
Aber auch Sepps Feder huschte über die Seiten, ohne sich zu sträuben. Es ging wie geschmiert.
Sein Nebenmann, der dicke Willem, dagegen fühlte sich gar nicht wohl in seiner Haut. Er trug eine Leidensmiene zur Schau, als schreibe er sein eigenes Todesurteil. Brennend gern hätte er dauernd zu Sepp hinübergelinst, denn er brauchte dringend Hilfe.
Ein paarmal versuchte er es auch verstohlen, aber wenn Sepp ihn dann so gönnerhaft und gleichzeitig mitleidig anlächelte, dann zügelte der dicke Willem schlagartig seine Wißbegier und riß seinen Blick zurück, um noch verzweifelter und hoffnungsloser auf sein Geschreibsel zu stieren. Auf keinen Fall wollte der dicke Willem öffentlich zugeben, daß er es nötig habe, von seinem Erzfeind abzuschreiben. Und dabei hatte er Hilfe so bitternötig!
Nun hat alles einmal ein Ende — auch eine englische Niederschrift!
„So“, forderte der Lehrer seine Schüler auf, „jetzt lest noch einmal in Ruhe eure Arbeit durch — aber jeder für sich allein, wenn ich bitten darf!“
Brillenschlange feixte und dachte: Der Einser ist mir sicher!
Der dicke Willem dagegen brütete dumpf vor sich hin: ’n Sechser ist das Beste, was ich da rausholen kann — das ist klar wie Kloßbrühe!
Und Sepp?
Das wird endlich mein erster Pluspunkt hier sein! dachte er und klappte zufrieden sein
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