Sepp und seine Bande
Gedächtnis...
Als er bemerkte, wie verwirrt Frau Dallmayer in ihrem Geschirr herumsuchte und zunächst Suppenteller auf den Tisch stellen wollte, sagte er laut:
„Wenn Sie vielleicht drei Tortenplatten hätten, Frau Dallmayer...“
„Ja, ja, natürlich, Tortenplatten...!“
Endlich hatte sie einen drehbaren Tortenteller aus der hintersten Schrankecke her ausgefischt, und sofort legte der Lehrling die Schwarzwälder Kirschtorte darauf.
„Die übrigen Tortenplatten kann ich im Augenblick nicht finden... Wir sind nämlich gerade erst eingezogen.“
Das erklärte Frau Dallmayer dem Konditorlehrling, weil sie nicht gern zugeben wollte, daß sie nur eine einzige Tortenplatte besaß. Wann kam es denn schon vor, daß sie ein solches Ding brauchte! Die Käse-cremetorte konnte der Junge auch mit der flachen Pappunterlage so auf den Küchentisch legen, und für die Marzipantorte stöberte Frau Dallmayer noch einen großen, flachen Teller vom kostbaren Festtagsgeschirr mit den Röschen auf.
Kaum hatte sich der Konditorlehrling seiner süßen Last entledigt, da war er auch schon wieder aus der Wohnung raus, und sein fröhliches „Auf Wiedersehn, Frau Dallmayer!“ blieb in der zuknallenden Tür hängen.
„Warte doch!“ rief Frau Dallmayer hinter ihm her. „So warte doch, Bub!“
Sie stürzte ans straßenwärts gelegene Schlafzimmerfenster, ihre Geldbörse in der Hand. Für eine so leckere Überraschung wollte sie dem Burschen gern eine Mark Trinkgeld geben. Sie schaute aus dem Fenster, winkte und rief mit schwacher Stimme hilflos hinter ihm her:
„Hallo, Bub! Hallooo!“
Doch es war schon zu spät. Sie sah ihn nur noch in fliegender Fahrt auf seinem Sattel wippen, wobei die leere Tortenschachtel schepperte.
Frau Dallmayer sah jedoch noch etwas anderes: eine Gruppe von Halbwüchsigen auf ihren Fahrrädern, die hinten an der Ecke herumlungerten und dem Konditorlehrling grinsend nachschauten. Einige Gesichter kamen ihr irgendwie bekannt vor, aber woher und wieso — darüber dachte sie jetzt nicht weiter nach, sie wollte auch gar nicht. Ihr Kopf war voll köstlicher Torten, was ihr wichtiger erschien als die Gesichter von ein paar Lausbuben.
Stehenden Fußes wollte sie in den Heizungskeller hinuntereilen, um ihrem Mann für die freudige Überraschung zu danken. Aber das war nicht mehr nötig; denn als sie in die Küche zurückkehrte, um erst noch einen erneuten Blick auf die drei verlockenden Gebilde aus Teig, Sahne, Schokolade, Marzipan, Sahnequark, Zucker, Krokant und Mandelsplittern zu werfen, da stand ihr Mann bereits schnuppernd und mit Zangen und Schraubenschlüsseln vor dem Küchentisch.
„Was ist denn hier los?“ wunderte er sich. „Kindstaufe oder Hochzeit?“
Sie fiel ihm um den Hals und gab ihm einen langen Kuß, und dazu kicherte sie:
„Vielen herzlichen Dank, Toni!“
„Wofür?“
„Für die Aufmerksamkeit da.“
„Aber ich
„Leugnen zwecklos!“ unterbrach sie ihn gutgelaunt. „Wer soll denn sonst die Torten bestellt haben?“
„Also ich bestimmt nicht!“
Das versicherte der Hausmeister so ernst, daß nun auch seine Frau stutzte und daran zweifelte, ob ihre erste Vermutung wirklich richtig war. Doch nein, sie wollte noch immer daran glauben, weil es so schön war, und deshalb führte sie an:
„Aber da steht doch drauf: ‚Viel Glück in der neuen Wohnung!’ Auf der Marzipantorte, meine ich. Mit weißem Zuckerguß gespritzt.“
„Das habe ich auch schon gesehen. Aber glaubst du, ich könnte es mir leisten, uns gleich drei Torten zu kaufen, Torten von der Größe und Qualität? Davon hat jede bestimmt fünfzehn Mark gekostet.“
„Mindestens!“
„Na also! Ich hätte höchstens eine gekauft, w e n n ich eine gekauft hätte. Aber ich...“
„Du hast wirklich keine gekauft, Toni?“
„Nein, Ehrenwort!“
Frau Dallmayer stand fassungslos da und schaute von ihrem Mann auf die Torten und dann wieder auf ihren Mann.
„Aber wer — wer denn sonst?“ hauchte sie.
„Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit…“
„Viel Glück in der neuen Wohnung!“
Sinnend las die Hausmeistersfrau noch einmal den Spruch aus weißem Zuckerguß. Auch ihr Mann grübelte darüber. Er hatte die Augen zusammengekniffen, brummte dann und begann langsam zu sprechen, als dämmere es bei ihm:
„Hm — ob vielleicht die Hausgemeinschaft dahintersteckt?“
„Du meinst die Mieter?“
„Ja, könnte doch sein... Wenn jeder eine Mark gibt — nein, fünfzig Pfennig genügen — oder noch
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