Sepp und seine Bande
Lausbuben schreiben. Jetzt muß ich den Ball rausrücken.
Laut rief der Hausmeister: „Sepp!“
Ungewöhnlich flink stürzte Sepp aus seinem Zimmer.
„Ja, bitte, Vater?“
Herr Dallmayer hatte bereits den Ball aus dem Wandschrank genommen, nachdem er das Geld in die Kassette gelegt hatte, und hielt ihn jetzt in der Hand.
„Sei so gut und bring den Buben den Ball. Sie haben alles erledigt. Im Briefkasten haben 5,70 Mark gelegen. Der Restbetrag.“
„Ja, ich gehe sofort, Vater!“ sagte er, verkniff sich ein Grinsen, nahm den Ball an sich und eilte hinaus.
Sepp brauchte den dicken Willem und seine Wölfe nicht lange zu suchen. Wie üblich standen sie draußen an der Straßenecke zusammen, diesmal mit langen Gesichtern wie Schafe.
Als sie den Fußball mit Sepp — oder vielmehr Sepp mit dem Fußball — erkannten, raschelte eine Unruhe durch ihre Reihen. Der dicke Willem schnellte sogar vom Bordstein hoch, auf dem er sich mit seinen drückenden Sorgen niedergelassen hatte.
„Mein Vater schickt mich her“, begann Sepp und hielt seinem Widersacher das Leder hin. „Ich soll euch den Fußball bringen.“
Mißtrauisch äugte der dicke Willem. Der Ball war tatsächlich sein Ball — klar wie Kloßbrühe! Und trotzdem riß er ihn nicht dem andern aus den Händen, sondern fragte, weil er glaubte, Sepp und sein Vater trieben nur einen üblen Scherz mit ihm:
„Wie — wie kommt dein Alter eigentlich dazu, he? Vor einer halben Stunde oder so hat er uns doch noch zur Tür rausgeworfen...“
Sepp zuckte die Achseln.
„Er hat so was gesagt wie, daß ihr jetzt miteinander quitt seid — oder so ähnlich.“
„Wir sind erst quitt, wenn wir den Rest bezahlt haben.“
„Quitt ist quitt — mehr kann ich nicht sagen.“
„Komischer Heiliger!“
„Wer?“ brauste Sepp auf. „Ich?“
„Du sowieso“, meinte der dicke Willem unter dem Gelächter der Wölfe, „aber auch dein Vater.“
„Sag das nicht noch mal, du!“
„Ist es vielleicht nicht komisch, wenn er die 5,70 Mark aus der eigenen Tasche bezahlt, he?“
„Wer sagt denn das?“ wollte Sepp wissen.
„Wer soll denn sonst für uns geblecht haben? Der Weihnachtsmann? Oder du vielleicht...?“
„Nein“, spöttelte Flöhchen, „dann schon eher der Weihnachtsmann!“
Die Jungen wieherten vor Vergnügen, doch Sepps Stimme übertönte sie, als er Willem anschrie:
„Also willst du jetzt den Ball oder nicht?“
Noch ehe der dicke Willem eine weitere spöttische Bemerkung machen konnte, warf ihm Sepp den Fußball hart vor die Brust, so daß die Arme des andern ganz mechanisch hochschnellten und den Ball auffingen, so sicher, wie der Nationaltorwart einen Bombenschuß tötet.
Sepp schaute gar nicht weiter hin — er hatte bereits kehrtgemacht und lief heim. Undank ist der Welt Lohn!
Hinter ihm erscholl Jubelgeschrei, nachdem Willem den Wölfen verkündet hatte:
„Jetzt geht’s wieder ran! Los, lauft alle nach Hause und holt eure Klamotten. Wir fahren zum städtischen Fußballplatz!“
In alle Himmelsrichtungen spritzte die Meute auseinander, um Fußballschuhe, Sporthose und Trikot zu holen und gleichzeitig noch den einen oder anderen Kameraden in der Nähe zu benachrichtigen. Sie schwelgten in einem Freudentaumel wie Buschneger, die nach siebenjähriger Dürre endlich wieder die ersten Regentropfen auf ihrer ausgetrockneten Haut spüren, und strömten im Handumdrehen mit Sportzeug und Fahrrädern wieder zur Straßenecke hin.
„Mir nach!“ schrie ihr Häuptling, Willem der Dicke, mit überschnappender Stimme. Und schon traten die Wölfe so wuchtig in die Pedale, daß die Muskeln aus den Waden traten und die Radketten sich spannten. Es war, als sei das Startzeichen zur Tour de France, dem größten Radrennen der Welt, gefallen.
Sie rasten um die Wette zum Sportplatz, und wer selbst kein Fahrrad besaß, hockte mit gespreizten Beinen auf dem Gepäckträger eines Freundes oder quer und bucklig auf dem Oberrohr vorn zwischen Lenkstange und Sattel. Einige hatten auch die Beine in die Hand genommen und wetzten wie eine Meute jagdlüsterner Hunde hinter den Reitern her, keuchend und mit heraushängender Zunge.
Wie in allem, was mit Körperkraft zusammenhing — so wollte der dicke Willem auch bei diesem Rennen der Erste sein — aber er fuhr nicht als Sieger ins städtische Sportfeld ein: er kam überhaupt nicht dort an! Denn als er an der Spitze des Rudels, buckelnd wie eine Katze und so mit sechzig Sachen in die Kurve ging, um in die
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