Die 2ten Chroniken von Fitz dem Weitseher 02 - Der goldene Narr
Prolog
Erlittene Verluste
Den Verlust eines Geschwistertiers kann man jemandem, der nicht über die Alte Macht verfügt, nur schwer erklären. Jene, die beim Tod eines Tiers sagen, »es war doch nur ein Hund«, werden nie verstehen können, wie es sich anfühlt. Andere, mitfühlendere Naturen können es sich wie den Tod eines geliebten Haustiers vorstellen. Aber selbst jene, die meinen, »es muss wie der Verlust eines Kindes oder einer Ehefrau sein«, sehen nur eine Facette des wahren Schmerzes. Der Verlust eines Lebewesens, mit dem man verschwistert war, ist viel schlimmer als der Verlust eines Gefährten oder eines geliebten Menschen. In meinem Fall war es, als hätte man mir plötzlich die Hälfte meines Selbst amputiert. Mein Sehvermögen war eingeschränkt und mein Appetit gedämpft, das Essen roch einfach nur langweilig. Mein Gehör hatte stark nachgelassen, und …
Das Manuskript, das ich so vor vielen Jahren begonnen hatte, endet in einem Gewirr von Klecksen und wütenden Strichen. Ich kann mich genau an den Augenblick erinnern, an dem ich erkannt habe, dass ich von einer allgemeinen Beschreibung zu einem Bericht über meinen persönlichen Schmerz übergegangen war. Es gibt Kniffe und Falten in der Schriftrolle, die daher rühren, dass ich sie vor Wut immer wieder auf den Boden geworfen und darauf herumgetrampelt habe. Das Wunder dabei ist, dass ich sie zum Glück nur zur Seite getreten und nicht direkt ins Kaminfeuer geworfen habe. Ich weiß nicht, wer schließlich Mitleid mit dem elenden Ding bekam und es in mein Regal einreihte. Vielleicht war es Dick mit seiner methodischen, gedankenlosen Art. Ich selbst jedenfalls kann zwischen meinen eigenen Texten keinen finden, der es verdient hätte, gerettet zu werden. Meine literarischen Bemühungen scheinen mir in der Regel mehr schlecht als recht zu sein.
Meine verschiedenen Versuche, eine Geschichte der Sechs Provinzen zu verfassen, verwandelten sich häufig zu einer Geschichte über meine Welt und mein Leben. Bei einer Abhandlung über Kräuterkunde wanderte meine Feder zu den unterschiedlichen Behandlungsmethoden bei Gabenleiden. Meine Studien über die Weißen Propheten verloren sich völlig in deren Beziehungen zu ihren Katalysten. Ich weiß nicht, ob es mein Dünkel ist, der meine Gedanken immer wieder auf mein eigenes Leben lenkt, oder ob mein Schreiben nur meinen armseligen Versuch darstellt, mir selbst das Leben zu erklären. Die Jahre sind zu Dutzenden gekommen und wieder gegangen, und noch immer nehme ich Nacht für Nacht die Feder in die Hand und schreibe. Noch immer strebe ich danach zu verstehen, wer ich bin. Der Vorsatz »das nächste Mal werde ich es besser machen«, ist nicht viel mehr, als die Selbsttäuschung, dass es auch ein »nächstes Mal« geben wird.
Als ich Nachtauge verloren hatte, hatte ich nicht an dieses nächste Mal geglaubt. Ich hatte mir nie fest vorgenommen, wieder eine Bindung einzugehen und es mit dem nächsten Geschwistertier besser zu machen. Solch ein Gedanke wäre Verrat gewesen. Nach Nachtauges Tod war ich vollkommen leer. In den darauffolgenden Tagen ging ich verwundet durchs Leben, ohne überhaupt zu bemerken, wie verstümmelt ich war. Ich war wie ein Mann, der über das Jucken in seinem amputierten Bein klagt. Das Jucken lenkt vom ungeheuerlichen Wissen ab, dass man fortan durchs Leben humpeln wird. So verbarg die unmittelbare Trauer über Nachtauges Tod das wahre Ausmaß des Schadens, den ich erlitten hatte. Ich war verwirrt, hielt meinen Schmerz und meinen Verlust für ein und dasselbe, wo in Wirklichkeit das eine doch das Symptom des anderen war.
Auf seltsame Art war es wie ein zweites Mündigwerden. Diesmal hatte es jedoch nichts mit dem Erreichen des Mannesalters zu tun, sondern mit der langsamen Erkenntnis, dass ich ein Individuum war. Die Umstände hatten mich wieder zu einem Teil der Hofintrigen von Bocksburg gemacht. Ich hatte die Freundschaft mit dem Narren und mit Chade wieder belebt. Ich stand am Rande einer echten Beziehung mit Jinna, der Krudhexe und mein Junge, Harm, hatte sich kopfüber in die Lehre und in eine Romanze gestürzt und schien nun in beiden Angelegenheiten wenig glücklich umherzustolpern. Prinz Pflichtgetreu hatte mich kurz vor seiner Verlobung mit der Outislanderin Narcheska Elliania gebeten, sein Mentor zu sein – nicht nur als Lehrer in Fragen der Gabe, sondern auch um ihn durch die wilden Wasser der Mannwerdung zu führen. Es mangelte mir nicht an Menschen, die sich um mich
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