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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Hitlers und Stalins auf Erden) einen kleinen Atomreaktor zu unbedingt nur friedlichen Zwecken verkaufte
    wie zwanzig Jahre zuvor an die israelischen Freunde die fünf Jahre nach dem Pariser Fischgrillfest den schönen neuen irakischen Reaktor in die Luft jagten aber
    das ist lange her wiederum zwanzig Jahre die natürlich nichts bedeuten in der blutigen pulsierenden Lawine der Menschenzeit seit
    Adam
    in Al-Qurnah steht sein Baum hier kann man uns alte Fische zugleich aus dem Tigris und dem Euphrat ziehen aus der trägen Spiegelfläche des Zusammenflusses über die pechschwarze Kähne gleiten mit fünfzackigen Speeren Dynamitstangen oder Handgranaten fischt man hier da fliegen wir also im günstigen Falle am Stück zum Baum hinüber einem starr und schief stehenden blattlosen verdorrten Halbriesen eingeschnürt von Steinplatten vom Satan fälschlicherweise als endlose Herrschaft bringend gepriesen und doch die Erkenntnis verschaffend die Vertreibung bringend die Blendung am Jüngsten Tag droht seither allen die unsterbliche Herrschaft anstreben (Saddam mein Folter-Freund: das Gluteisen des Engels!)
    der gestorbene Baum der Unsterblichkeit einmal war er grün er war schlangenlos im Koran und die Frau verführte nicht sondern aß einfach mit
    ohne dass wir wissen ob sich die REDE hier wie ein Gentleman verhält oder Eva auch hier schon nichts zu sagen hatte
    er war vielleicht grün in arabischer Doppeldeutigkeit Dreifachbödigkeit bei uns mein Bruder gibt es immer etwas zwischen Wahr und Falsch und das ist dann eine Geschichte
    Kan ya ma kan … Es war und es war nicht …
    eine Geschichte wie die unseres Lebens in dem die Unsterblichkeit erst unauffällig dann aber mit lautem Türknall verschwindet
    der Baum war einmal grün und so kann Schahrasad die Geschichte vom jüngsten Kaufmannssohn und der belesenen Kindergärtnerin erzählen
    Farida
    hebt das Gesicht im heißen staubigen Frühling in Bagdad unverschleiert zwanzigjährig
    die Braue sticht ins Herz
    Jahre in der Morgenröte
    heftige stille sich in den Unterarm beißende Paradiese die nach Moschus und Orangen duften wie soll ich es sagen mein Bruder ich zerschnitt meine erste Leiche im Anatomiesaal und wurde zur Hälfte religiös denn die Ehe sagt der Prophet ist die halbe Religion (er selbst war also mindestens sechsfach gläubig) ich geriet in jene bedingungslose Haft die meine einzige und größte Befreiung war
     
    Bestimmung
     
    Dein Schlaf ließ meinen Atem stocken,
    Sacht umfasst ich deine Wangen,
    Als die Schellen deiner Locken
    Sich um meine Hände schlangen.
     
    Lebenslang war ich gefangen,
    Sterbenslang nur noch allein.
    Denn in jedem Paradiese
    Werden wir zusammensein.
     
    natürlich ist das Kitsch aber ich war viele Monate einsam wie ein Hund in Baracken Kasernen Militärhospitälern doch im Nachhinein erscheint mir die erste Zeit in Paris am schlimmsten das Jahr ohne Farida als ich in einem winzigen Zimmer mit Hussein lebte und mit den Sprachen kämpfte das sternenweit überlegene Akademiegenäsel der Hörsäle mein verzweifelt und zerrauft mit Rotz in der Nase den schnellen blauen Leuten auf der Straße hinterherrennendes Petit-Larousse-Gestammel das winzige und doch imperiale Uhrwerk-Latein der Anatomieatlanten die ersten Fachartikel auf Englisch das mir nüchtern und beruhigend erschien wie eine mit Palmseife gewaschene Kinderfrau mein Arabisch verwehte tagsüber wie ein in den Sand gezeichnetes Ornament und kehrte doch machtvoll in meinen Träumen zurück zwischen Husseins Ölfarbengespenstern (brennende Dali’sche Kamele unter dem Eiffelturm Herrscherporträts mit madenzerfressenen Gesichtern)
    wiederum im Frühling kam Farida nach Paris nachdem ich eine Wohnungim 20. Arrondissement gefunden hatte um dort der dünne Iraki zu werden der mit seiner hübschen dünnen Frau zwischen dünnen Wänden phlegmatischen Senegalesen erektionsgeplagten Marokkanern und algerischen Großfamilien mit Ohrstöpseln Physiologie paukte
    die Welt stand Kopf
    kaum waren wir wieder zusammen wir gerieten in eine von Wasserwerfern zersprühte Demonstration wir standen vor dem von Studenten verbarrikadierten Quartier Latin als um zwei Uhr morgens die Polizei angriff mit unserer arabischen Angst jetzt würde dort gleich scharf geschossen wir übertrieben vieles und nahmen anderes zu leicht unsere politischen Waagen hatten die Eichung verloren aus der Ferne erschien die Baath-Revolution fast wie ein Ereignis vor der Sorbonne oder in Berkeley oder Berlin dabei hätten

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