Madam Wilkin's Palazzo
Kapitel
1
V on dem anfänglich lebhaften, höflichen
Applaus war nur noch das vereinzelte Klatschen der besonders wohlwollenden
Verwandten der Cellistin zu hören, doch auch diese Beifallsbekundungen gingen
schließlich endgültig im lauten Scharren der Stühle unter. Die Touristen
schoben sich zum Ausgang am Ende des Konzertsaals, während sich die echten Kunstkenner
nach vorn in den Tintoretto-Saal drängten, um sich dort an Wein und Käse
gütlich zu tun, den Musikern Komplimente zu machen und den Wachstropfen
auszuweichen, die von Madam Eugenia Wilkins’ berühmten Kronleuchtern aus dem
16. Jahrhundert herunterfielen.
Mr. Max Bittersohn, der bekannte junge
Kunstexperte, faßte nach dem Ellbogen seiner auffallend attraktiven
Pensionswirtin Mrs. Sarah Kelling aus der Familie der Beacon-Hill-Kellings. »Am
besten machen wir uns so schnell wie möglich aus dem Staub«, flüsterte er ihr
zu. »Die Kleine, die da gerade Boccherini abgeschlachtet hat, hat offenbar mehr
Schwestern, Cousinen und Tanten als ein ganzer Chor aus Pinafore.«
Sarah, die eine konservativere
Erziehung genossen hatte als ihr Begleiter, zögerte noch. »Wir können doch
nicht so einfach weggehen, ohne wenigstens mit Ihrem Freund Mr. Fieringer
gesprochen zu haben. Sie wissen doch, daß es ihm jedesmal das Herz bricht, wenn
Sie sich nicht zu seinem neuesten Wunderkind äußern.«
»Was gibt es denn hier Positives zu
sagen? Aber gut, wenn Sie möchten, gehen wir so lange auf den Balkon, bis sich
die Massen ein wenig verlaufen haben.«
»Ich finde, daß sich der Pianist ganz
hervorragend gehalten hat, wenn man bedenkt, unter welchen Umständen er spielen
mußte.«
»Oh ja, der gute alte Bernie ist immer
noch ein verdammt guter Musiker, wenn er es erst einmal fertiggebracht hat,
sich zum Flügel zu schleppen. Ich frage mich, wie Nick es angestellt hat, ihn
bis zum Konzert nüchtern zu halten.«
»Mein Gott, was so ein Impresario nicht
alles mitmacht!« Sarah legte ihre zarten Arme auf die Balkonbrüstung aus
gemeißeltem Marmor und schaute in den Innenhof hinunter, in dem üppige
Blumenteppiche zur Feier des Osterfestes oder, in Mr. Bittersohns Fall, zur
Feier des Passahfestes, um die Wette blühten.
Am 1. Januar 1903 hatte Eugenia
Callista Wilkins, die Witwe eines Eisenbahnbarons, der feierlichen Eröffnung
von Fenway Court, in Boston besser bekannt unter dem Namen »Mrs. Jack Gardners
Palast«, beigewohnt. Zutiefst aufgewühlt von einer Empfindung, die sie selbst
für Verachtung hielt, gelobte sie sich, dieser Mrs. Jack ein für allemal klar
und deutlich vorzuführen, wie man so etwas sehr viel besser machen konnte. Dann
war sie dem Beispiel eben jener Dame gefolgt und hatte eine Schiffsreise nach
Europa unternommen, ihren eigenen Kunstexperten im Schlepptau, und hatte den
Laderaum eines Ozeanriesen der Cunard-Linie mit einer noch viel größeren und
noch viel wahlloseren Sammlung von echten und falschen Kunstschätzen beladen.
Damit war sie schließlich nach Boston zurückgekehrt und hatte am malerischen
Ufer des romantischen Muddy River einen noch protzigeren Palazzo erbauen lassen
als ihre Konkurrentin und ihre Schätze in einem noch wilderen Durcheinander
darin aufgestellt.
Mrs. Wilkins hatte dem völlig
sprachlosen Architekten erklärt, daß ihr Atrium einen Wasserfall haben müsse,
der drei Stockwerke hoch sein und sich über mehrere Marmorbecken in ein Bassin
ergießen sollte, in dem Seerosen wuchsen und sich exotische Fische tummelten.
Sie wollte auf jeden Fall mehr
Blumenbeete haben als Mrs. Jack, in denen das ganze Jahr über Blumen blühten,
die in Gewächshäusern eigens für sie gezüchtet würden. Sie ließ Wege mit
Mosaiken anlegen, deren Bestandteile angeblich während der Ausgrabungen bei
Herculaneum heimlich beiseite geschafft worden waren, und legte sich echte
lebende weiße Pfauen zu, die nach allen Seiten herrliche Räder schlagen
sollten, wie es ihnen gerade in den Sinn kam.
In Wirklichkeit allerdings neigten die
Pfauen eher dazu, ständig in der Mauser zu sein, sich auf den Mosaiken
unziemlich zu betragen, gereizt nach den Knöcheln der Besucher zu hacken oder
mit diversen komplizierten Vogelkrankheiten aufzuwarten, woraufhin man sie
jedesmal in Windeseile zur Behandlung ins Angell Memorial Hospital transportieren
mußte. Trotz des widernatürlichen Verhaltens dieser Vögel galt Mrs. Wilkins’
Palazzo jedoch im allgemeinen als überaus sehenswert und war sogar für Bostoner
Verhältnisse
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