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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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nicht mehr an die Skelett-Engel in den Channel Gardens)
    vor einer Backsteinmauer eine völlig weiße Statue Franz von Assisis mit einem weißen Spatz auf der Schulter
    jenes Gebilde wie aus einem großen zerfetzten Papiertaschentuch geformt eine Haube über dem verschwommenen gelblichen Gesichtsoval die älteste Puppe Amerikas (des weißen Nordamerikas) unter einer Vitrine in Deerfield
    das nächste Mal
    verspreche ich
    wenn wir ausgeschlafen sind
    werden wir gemeinsam den ganzen Freedom Trail entlanggehen der Linie folgend die vom Boston Common bis nach Charlestown führt schwarzes und rotes Blut gemischt zur paradoxen Hahnenkammfarbe der Freiheit ein zertretenes schmales Band das über die Bürgersteige und Straßen um die Häuserecken und durch die Parks läuft alles schon so lange her wie jenes 1770 von den Engländern an UNS begangene MASSAKER (5 Tote) vor dem Old State House
    wenn du über die Brücke fährst sage ich (wieder und wieder) kommst du nachhause
    es sollte ja nur den Weg ins akademische Leben weisen nach Cambridge worüber kann ich denn sonst reden was kenne ich denn sonst weshalb
    hat sie mich nicht angerufen
    an ihrem letzten Tag
    fahre in einem Waggon der Red Line nach Cambridge über die Longfellow-Brücke und du tauchst unvermutet ins Licht du siehst die Hochhäuser der Back Bay und des South End der Charles River wird zu einer uferlosen Front wenn du die Augen zunächst schließt und dann im richtigen Moment öffnest weshalb kam Sabrina auf die Idee sich auf die Bank mir gegenüber zu setzen es fehlte (für zwei oder drei Sekunden vielleicht) jede irdische Nahumgebung die Gleise waren so geneigt dass es nur noch Wasser- und Himmelsbläue gab die Köpfe und Oberkörper der Passagiere auf Sabrinas Seite schienen vor einem Blue Screen zu schweben wie biblische Figuren auf einem Gemälde von Raffael oder Michelangelo ganz so als
    kämen sie
    nicht mehr zurück

 
    Muna
     
    Es ist jetzt endlich heiß genug in der Hitze am späten Nachmittag noch drückt der weißlich fahle Himmel einen Knebel aus stickiger Luft auf die Stadt fast wie das mit einem alten Leintuch überspannte Kissen über das Miral die Teigfladen ausbreitet ich hebe den Deckel des Ofens und sehe durch einen Kreis von in den Boden gestanzten Löchern die blauen Gasflammen schlagen stürze hinein in einen Zylinder aus dunkel bebender Luft ich fürchte mich nicht will ich manchmal laut ausrufen es geschieht euch gar nichts dort eure Körper beherrschen das Spiel lasst euch nur fallen und seht euch vor denn
    jetzt hat die Eisenwandung die nötige Temperatur und wir können beginnen wir drei Cousinen in unseren leichten weiten Hauskleidern es beruhigt mich und tröstet mich ja auch
    aus dem siebten nein sagen wir dem vierten Himmel jenem der kurzen oder vielleicht nur machtvoll eingebildeten Wonnen
    wieder in die Familie
    zurückzufallen
    mit Sara und Miral spielte ich schon immer (seit Jahrtausenden im Schatten des Turms) und auch jetzt wo wir alle drei Anfang zwanzig sind kann es zu einem fröhlichen und ausgelassenen Miteinander kommen als verkleideten wir noch unsere Puppen oder hüpften nacheinander in die Quadrate von Himmel und Hölle aber sonst ist nichts mehr wie damals als wir den älteren Frauen nur zuschauen durften die Hefeteigkugeln auf dem mehlbestäubten Tablett vor Saras Platz am Gartentisch bilden eine glatte weibliche Landschaft wunderbar aber langweilig auf einem schneebedeckten Mond glatt schwellend unberührt eintönig perfekt man weiß nicht ob man sie unter Vitrinen versiegeln möchte oder seine Zähne in sie schlagen will stell dir eine königliche Liebe vor einfach undmajestätisch kostbar und blendend (hinter deinen geschlossenen Lidern Saphire Rubine Himmelsplitter leuchtende Spiralen unter deiner Haut) alles ohne den geringsten käuflichen
    Schmuck
    dieses Mal sah ich
    den Major
    nicht zwischen herabhängenden Goldkettchen
    aber es war wiederum auf einem Suk dem kleinen Lebensmittelmarkt ganz in der Nähe im relativ sicheren Wasiriya durfte ich in den vergangenen Wochen dreimal alleine einkaufen und beim dritten Mal stand er plötzlich vor mir in Jeans und einem grün-weiß karierten Hemd so ungewohnt dass ich vergaß
    laut aufzuschreien
    wenn du
    die Wahrheit wissen möchtest mein Täubchen dann
    hörst du jetzt einfach zu und bleibst still ich blieb weil ich mich vor Schreck ohnehin nicht hätte rühren können es war vor einem Stand mit Heilkräutern getrockneten Käfern und leeren Schildkrötenpanzern

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