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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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einem hoch gelegenen Fenster in den Tod stürzt nachdem sie auf alle erdenkliche Arten malträtiert wurden das ist
    eine Grußbotschaft
    der Geheimdienste an das Volk
    erhältlich auf sämtlichen größeren Märkten und nur scheinbar unter der Hand denn sie soll verkauft werden und einwirken auf die
    tieferen Schichten
    die Angst ist aber so alt ihre tiefen und tiefsten Schichten so vollgesogen mit Blut dass fast nur noch die Müdigkeit bleibt und die Apathie es gibt eine zermürbte schläfrige Todesangst die ihrer selbst überdrüssig geworden ist als läge dein Kopf im Maul eines Löwen und beide gähnten der Löwe und du
    die Arche für den Irak
    ist das Schiff der Folterer
    auch so kommt man hinaus endgültig Grüße
    aus Paris
    sagt Basil dem ich Morphium gebe für seinen halb zerstörten Körper weil ich ohne ihn vermutlich nicht mehr am Leben wäre denn er schickte den Spitzel der mich in einem Sanitätszelt über den
    STOLZDERARABER
    fluchen hörte angesichts eines zerrissenen Unterleibs
    auf ein Himmelfahrtskommando aber das war wohl nicht der Grund der ihn ins Totenschiff brachte sondern
    es gab und gibt keinen Grund
    das ist die stärkste reinste obszönste Form der Macht Zerstörung Begnadigung Bestrafung Liquidation Folter und Beförderung
    ohne Grund
    denn dann ist
    nichts
    zwischen dir und der grell brodelnden Sonne der Macht (allenfalls der dünne Äther der Todesangst)
    sie gaben Basil zwei Jahre nachdem sie ihn grundlos entlassen hatten ein Viertel der ihm zustehenden Rente ohne Grund etwa so wie sie ihm das halbe Leben ließen
    mit dem Hochzeitsgeschenk für Jasmin
    trete ich hinaus auf die abendliche Straße ich war lange nicht mehr hier in der Nähe des alten Diplomatenviertels die Bilder der Hochzeit kehren zurück es ist gerade zwei Wochen her dass meine Älteste ihren blassen wankelmütigen Langzeitverlobten geheiratet hat im großen alten Haus meines verstorbenen Vaters in Wasiriya in dem wir einmal auch ihre Geburt feierten kurz nach unserer Heimkehr nach Paris und alles schien sich zu wiederholen die Wärme die Geräusche das (heute jedoch nur mit allen Mühen organisierte) Festessen die Arrak- und Whiskey-Seligkeit und Dumpfheit die Nähe der Körper die Vertrautheit mit allen Räumen und Winkeln des Hauses
    nur wissen spüren wir in allen Knochen durch die Kebabdämpfe und Fischgrilldüfte hindurch dass sich alles verändert und verformt hat auch ohne die Erinnerung an die Verlorenen (mein vielleicht in einer Kaserne exekutierter vielleicht aber auch durch einen nächtlichen Gruß von George Bush senior ums Leben gekommener Neffe
    Faridas jüngere Schwester Fatima und ihre gesamte fünfköpfige Familie bei der Racheaktion Saddams gegen die Schiiten denen der amerikanische PRÄSIDENT plötzlich doch nicht mehr helfen wollte nachdem er sie zum Sturz des Tyrannen aufgefordert hatte)
    Fatima geht oft unter uns um so freundlich so leicht so schwer vergesslich
    keiner von uns ist mehr was er war und wir feiern dagegen an weil wir spüren erwarten glauben dass alles noch schlimmer kommen kann im Land der
    geprügelten Hunde
    das wir geworden sind (das ist der Unterschied über das Alter hinaus dass wir
    innerlich
    geprügelte Hunde sind mein Freund bissig trostlos unruhig mit falschem Stolz und echtem Hass) in unserer Rolle als Untertanen durch die Düfte und den Arrak-Schleier hindurch
    sehe ich Jasmin und muss mit der lebendigen Nähe und ungeheuerlichen Entfernung zugleich zurechtkommen die mir der Anblick dieser energischen schönen jungen Frau einflößt sie heiratet mit aufrechter Haltung im westlichen Stil sie hat (schon immer wollte ich sagen schon damals als sie in der Schule Fußball spielte und ich am Zaun verzweifelt ihre Hände umklammerte) mühelos den alten islamischen Seelenballast abgestreift (Farida häufte ihr allerdings wenig auf) sie hat nie eine Abaya getragen und kocht fast nie sie ist das geworden was man vor zwanzig Jahren der irakischen Frau versprach an ihr ist alles wahr geworden und
    falsch zugleich ich weiß nicht
    wie sehr wie weit es ist sechs Jahre her dass wir offen und frei miteinander geredet haben damals in Paris unsere zärtlichen wütenden abstrakten Gespräche vor Munas erschrockenen Augen
    jetzt erreiche ich sie nicht mehr und wenn sie mich im Festtrubel umarmt und ich ihren wohlduftenden Körper spüre dessen sehnige Kraft mich irgendwie tröstet und beruhigt als könnte sie ihr helfen
    mit ihrem Karriere-Chemiker Kasim hat sie in Paris schon den Kreis

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