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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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Gemüse mit
    Muna und Sami sind heute Abend bei Jasmin eingeladen da ist Farida allein ich will sie kurz anrufen
    anrufen ich denke ihr seid verheiratet? der letzte Romantiker seufzt Ali
    beim Gemüsehändler können wir das Telefon benutzen und wir spazieren mit lachsfarbenen Plastiktüten in der Hand durch den Abend an der dröhnenden Karadastraße verfolgt von Taxifahrern von denen wir einen mit einer viel zu kurzen Fahrt bis zum Sheraton-Hotel unglücklich machen dann geht es wieder zu Fuß durch die engen Seitengassen bis zur Schahid-Moschee
    du bist so vorsichtig meint Ali als hätte ich keinen Grund dazu seine Gelassenheit beruht darauf dass er vor vier Jahren schon seine Frau und seine beiden Söhne nach London schicken konnte und als ich ihm das sage gibt er zurück dass meine
    ZUSCHAUERHALTUNG
    sich doch ebenso den familiären Umständen verdanke der Tatsache nämlich dass ich zwei Töchter hätte wie George Bush und dass Sami noch nicht im wehrpflichtigen Alter sei wenn ich Glück hätte dann wäre der Krieg ja schon vorbei noch ehe er seinen Schulabschluss mache Ali klopft mir ermutigend auf die Schulter mit seiner hellen Hose seinem leichten Pullover und den rosa Plastiktüten wirkt er feiertäglich entspannt man kann nicht glauben dass er einen 13-Stunden-Arbeitstag hinter sich hat nur manchmal senkt er etwas kurzatmig den Kopf ich weiß nicht ob ihm die Anästhesistin wirklich so guttut auch wenn sie zu schweigen versteht
    früher (sehr viel früher) trafen wir uns in einem Café in der Mutanabbi-Straße oder in einer Bar an der Abu Nuwas wo wir uns heute nur noch mit Geheimagenten im Kreise Dutzender vom PRÄSIDENTEN geköpfter Prostituierten treffen könnten die den Wein ihrer Hälse ausschenken um einige panegyrische Lieder zu heulen im Gedenken an den von seinem letzten Auftraggeber zu Tode gequälten Dichter der da von den Freuden von Bagdad zu sagen wusste :
     
    Wann, sagt er, willst du nach Mekka gehen?
    Ich antworte: Ja, wenn es mit den Freuden
    von Bagdad vorbei sein wird.
    Wie soll ich denn auf Pilgerfahrt gehen,
    solange ich hier abgesoffen bin
    bei der Kupplerin oder dem Wirt?
     
    da uns Mekka zu weit und zu trocken ist und die Wirte als zu gefährlich gelten sehen wir uns doch lieber privat und in kleineren Gruppen und der ideale Ort wäre eigentlich der exzentrisch rasende Planet Merkur auf dem Abu Nuwas seit 1976 einen schönen Krater besitzt im nächsten Mai im Krieg wird er uns grüßen nur ein winziger schwarzer Fleck vor dem tödlichen lebensspendenden Feuerschild der Sonne rasch
    vorübergehend
    wie all die Maler Dichter Journalisten die echten und die vermeintlichen Intellektuellen die es in alle Winde verstreut hat Madschids Atelier ist eine Ausnahme hier trifft sich der
    Künstler- und Dichterclub
    alte Männer zu gebeugt zu krank und zu trunksüchtig um dem STAAT noch Angst zu machen nur wenn der
    Einsiedlerkrebs
    kommt muss man sich in Acht nehmen jener Dichter der im Haus des Dichters wohnt wobei Letzterer vor fünfzehn Jahren nach Monaten der Folter und Haft ins Exil ging und Ersterer mit dem zurückgelassenen Haus belohnt wurde für sein Meisterwerk Saddams Blüte worunter ich mir nur einen Kranz von Hämorriden vorstellen kann das Haus erklärt uns der Einsiedlerkrebs seit Jahren sei allerdings von ihm nur getreulich verwaltet denn nichts schütze es besser vor falscher Vereinnahmung als seine Anwesenheit das Residieren eines falschen Dichters in der Muschelschale des wahren Dichters aber der Krebs in unserem Club schützt uns weil seine Anwesenheit weitere Spitzel unnötig macht Abu Nuwas der als Homosexueller hier in seiner eigenen Straße leicht verhaftet (und geköpft) werden könnte greift nach der Flasche und spricht:
     
    Trink drei Gläser
    und zitiere einen Vers.
    Das Gute hat sich mit Bösem vermischt
    und – Gott möge mir verzeihen –
    Der wird gewinnen, in dem das eine
    das andere überwand: genug!
     
    zwischen den düster grün und rot leuchtenden Ölgemälden Madschids sitzen wir an einem langen Tisch mit historisch zerkratzter Platte vor uns überquellende Aschenbecher Bier- Whiskey- und Arrakflaschen Tee- und Wassergläser wir sind nur zu fünft heute (ohne den Einsiedlerkrebs) zwei Ärzte zwei Maler und der Dichter und Literaturwissenschaftler Jabir der seit zwanzig Jahren keine Zeile mehr veröffentlicht hat aber sieben Bücher
    in seinen Kopf hinein schrieb (wie er sagt als trüge er eine assyrische Tontafel oder eine Computerfestplatte zwischen den

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