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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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bevorstehende Bewegung die knallbunte Frivolität der Jogger ist unerträglich ist zutiefst
    beneidenswert (richtige Zeit richtiger Ort)
    ich gehe um mich zu ermüden mich abzustumpfen ich beruhige mich mit Gewaltmärschen ich habe keine Turnschuhe dabei ich gehe dreißig vierzig Blocks in Straßenschuhen weil ich nur das akzeptieren kann ein gewöhnlicher gehetzter Bewohner dieser Stadt in Straßenschuhen zu sein ich musste mir nach vier Monaten ein neues Paar kaufen ich gehe bis ich treibe mein Körper soll mit der Stadt verschmelzen mit ihrer titanischenGewöhnlichkeit mit ihren nervösen höflichen schnellen verzweifelten gewitzten Bewohnern die mir als
    Europäer
    in all den Jahren doch viel nähergerückt sind und begreiflicher wurden als die Engländer Franzosen Schweden Spanier selbst an Luisas Seite sie brachte mich durch eine einzige Bemerkung dazu die Lehrerarbeit wiederaufzunehmen ab kommenden Donnerstag bin ich Visiting Professor an der Columbia
    sie genießen es
    hatte Luisa gesagt
    das Opfer ist geleistet (und begrenzt) und jetzt sei es die Versuchung sich in allem recht zu geben sich vom Alltag von der Kritik von den Regeln der Zivilisation des Völkerrechts der Kultur zu suspendieren und
    wie wahnsinnig
    Ground Zero aufzuräumen
    oder die Taliban zu bombardieren oder die Freiheitsrechte im eigenen Land zu verstümmeln brutale Gefängnisse außerhalb der eigenen Zivilgerichtsbarkeit aufzubauen die Folter zu legitimieren den
    Irak
    aufs Korn zu nehmen
    was denke ich noch wozu brauche ich Wochen und Monate um
    etwas zu verstehen
    die Größe zu besitzen jetzt keinen Krieg zu führen sagte Luisa schon in der ersten Woche nach dem Anschlag als ich fassungslos den Taliban-Regierungssprecher im Fernsehen Beweise einfordern sah bevor man Osama bin Laden ausliefere was für ein Idiot dachte ich was glaubt er mit wem er es zu tun hat er ist schon tot und
    ich gönnte es ihm
    allein wegen der Dummheit zu glauben Amerika würde sich das bieten lassen
    was verstehe ich
    wenn ich hasse ich kann in drei Wochen schon so klug sein wie ein Leitartikel und die Welt auf zwei Spalten bringen aber
    es hilft mir nichts ich muss auf meine Art klären
    WIE ICH AUF DIE ERDE GEKOMMEN BIN
    weshalb ich dort noch lebe (natürlich nur das)
    wie ich eine Frau haben konnte (eine amerikanische Frau) wie ich es fertigbringen konnte Leben zu zeugen weshalb ich in Amerika blieb weshalb
    ich immer noch bleibe
    warum hassen (sie) (uns)
    die Nächte
    sind unruhig hell zerrissen oft stehe ich auf gehe in meiner Zelle in der Amsterdam Street umher gequält und doch auch mit schmerzendem Kopf zufrieden darüber dass ich nicht schlafen kann früher schaltete ich so gut wie nie den Fernseher ein schon gar nicht nachts
    ein Spielfilm mit einer Rapper-Gang die Wetterkarte mit bedrohlichen Wirbeln über Atlanta eine grünlich-graue Nachtaufnahme von schimmernden Bombenzylindern oder Sprengköpfen eines vermeintlichen Massenvernichtungswaffenfunds mit der Fernbedienung das Bild zerstören wie durch Implosion immer gibt es von Außerhalb die ungeheuerliche Masse der Nacht die alles zurückschießen kann in den winzigen Leuchtpunkt des Zentrums (die rote Sonne auf der Stirn eines indischen Mädchens) ich muss aufstöhnen ich muss Wasser trinken ich trinke nur noch Wasser und Kaffee ich presse
    die Stirn gegen das kühle Glas der Balkontür
    das Rauschen des Verkehrs die jaulenden Polizeisirenen das Glühen der Neonröhren die Gedanken an Amherst mein Leben dort ist so entrückt als wäre es eine längst aus der Mode gekommene Fernsehserie das Haus um das sich Luisa kümmert soll ich es verkaufen oder nicht ich muss mich entscheiden weshalb hat mir Sabrina nichts über Kalifornien erzählt weshalb rief sie nicht mich an statt zu Amanda zu fahren weshalb
    die jaulenden Sirenen
    noch einmal Fernsehbilder
    noch einmal das rasche Abschalten ich denke oft an Sabrinas erstes Lebensjahr an die zerrütteten Nächte damals an das Umhergehen mit ihr bis zum Morgengrauen ich legte Mozart auf aber sie mochte (glaube ich) lieber Astor Piazzolla
    um sie aus der Welt zu bringen zu begleiten dachte ich oft gehe ich wieder umher
    schlafe ich schlecht brauche ich die Nächte
    eines Jahrs
     
    Sommerschatten
     
    Als Du bei mir warst
    fehlte mir nichts.
    Doch dann sah ich,
    dass es das Unglück war.
    Immer neu zärtliche Gestalten,
    hinsinkend,
    immer nur Du,
    erstickter Schmetterling,
    schwarz und wie ein Kohlestrich
    so leicht.
     
    Dein Nicht-Atmen,
    die ins Auge

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