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September. Fata Morgana

Titel: September. Fata Morgana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Lehr
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die mit dem Schlafen am Tage einhergingen wenn es denn sein müsse so beschränke man sich auf eine halbe Stunde die man mit aufgetanem Gürtel und ohne Schuhe jedoch mit bedeckten Füßen an einem möglichst finsteren Ort verbringe üblicherweise bin ich seiner Meinung aber
    das Gastmahl mit den Macht- und Maler-Philosophen hat mich so mitgenommen dass ich den gestrigen Tag mit vollkommen leerem und wie gespaltenem Schädel verbrachte trotz der mir zur Verfügung stehenden Wundermittel (zwei Liter Wasser und drei Aspirin) kam ich erst am Abend richtig zu mir und zu (überaus erstaunlichen) Kräften in der gestrigen Nacht als Farida sich plötzlich über mich hermachte oder vielmehr mich
    zu sich nahm
    wie einen alten Teddybären aber ich führte mich ganz schön auf und schlief deshalb wohl schon wieder ganz unruhig so dass mir die vier notwendigen Wochenend-Hausbesuche sehr schwerfielen und ich dann also am Nachmittag ganz gegen meine Gewohnheit und höhere Einsicht erschöpft auf mein Bett fiel
    es ist ein seltsam konturloser Halbschlaf ich bin weniger versunken als erhoben es scheint mir als befinde ich mich seit Stunden in einem prekären Schwebezustand als könnte ich jeden Augenblick hinabstürzen und als sei ich doch zu müde um auch nur das Geringste an meiner Lagezu ändern ein eigentümliches stumpfes und graues Nichts umgibt mich es ist aber nicht wirklich unangenehm ja sogar befreiend es ist einfach ein Ausbleiben von (lästiger) Gestaltung ich schwebe wie in einer grauen nicht weiter möblierten Wolke und das Aufwachen mein Freund ist in einem solchen Fall eine ganz großartige Sache denn durch Watteschichten von nicht weiter bestimmtem namenlosen Zeug dringt man zu einem gleichfalls sehr diffusen Ich vor so als könnte man völlig überraschend bei sich selbst einkehren oder auch bei dem Rest der Welt aus der Perspektive des
    Fliegenden Menschen
    den wiederum Meister Ibn Sina (euer Avicenna) erfand um uns Normalgeistigen eine Vorstellung davon zu geben wie wenig das Bewusstsein benötigt um zu entstehen wir sollten nur einmal auf Arme Beine Ohren Nase Augen Mund verzichten und uns für einen Moment in der freien Luft aufgehängt denken (ohne Strick und Faden versteht sich)
    dort spürten wir uns nähmen uns wahr dächten uns uns
    aber mit was?
    eben der Seele glaubte Ibn Sina bewiesen zu haben
    bei der Rückkehr zu sich fühlt man sich als dies und jenes und ich begrüße mich mit einer erstaunlichen fliegenden Erektion die sich wohl einer Erinnerung an ein noch erstaunlicheres Geschehen mit einer nach Jasminblüten und Moschus duftenden zärtlichen Madame verdankt also haben wir schon Zeit Gedächtnis und Frau was will man mehr ich glaube mit ihr bin ich seit Jahrtausenden verheiratet und wir besitzen Heerscharen von Nachkommen aber wo nur wo
    da fallen mir die gläsernen Pyramiden ein
    und ich sehe brennende Mullahs darüber hinwegschreiten
    Madschid du verrückter Hund hat dir Ali nicht prophezeit dass dich die Schiiten hängen werden sobald die Amerikaner sie an die Macht gebracht haben wo war ich
    fliegen geblieben
    ach die Mullahs und Muslime aber was kann ich dir mein Freund über die Gläubigen sagen ich war vor vierzig Jahren das letzte Mal in einer Moschee schließlich bin ich Pariser nein
    ARABER
    ein Araber in Paris mein Freund da habe ich sie dargestellt
    die exotische Furchtgestalt
    vor kaum noch fassbaren fünfundzwanzig und dreißig Jahren wiederum hängend und halb im Schlaf um fünf Uhr morgens an Halteschlaufen die von der Decke baumelten auf dem Weg zur Frühschicht in der Salpêtrière im Nachtbus schon hinwegdämmernd nach vierundzwanzig Stunden Dienst ausgelaugt aber frisch geduscht und zu gut angezogen um als Teppichknüpfer oder Drogendealer Eindruck zu schinden die Kamele traben durchs leere Viertel hinter meinen Augenlidern Hirtenhunde kläffen neben der ausgeglühten Feuerstelle ich stolpere hinaus aus dem virtuellen Zelt über kalte Hammelknochen in die wunderbare Einöde aus silbrigem Sand und meerblauem Himmel zwischen übellaunig raschelnden Skorpionen und störrischen Schafsböcken hindurch (Votre billet si vous plaît!) und plötzlich dröhnt SEINE STIMME herab
    und überschüttet mich mit der
    nicht enden wollenden keinen Widerspruch duldenden unerschöpflichen unnachgiebigen eifersüchtigen drohenden dröhnenden zornigen rechthaberischen lockenden verfluchenden listigen herrischen endgültigen imperialen ewigen
    REDE
    die ganze Nacht hindurch (ich halte mich weiter

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