Septimus Heap 03 - Physic
Miene. »Nordhändler werden hier nicht bedient«, knurrte sie.
Snorri blickte verwirrt. Sie war sich nicht sicher, ob sie Sally richtig verstanden hatte, obwohl sie spürte, dass sie hier nicht gerade willkommen war.
»Haben Sie das Schild an der Tür nicht gesehen?«, setzte Sally hinzu, als Snorri keine Anstalten machte zu gehen. »Nordhändler unerwünscht. Sie sind hier nicht willkommen, nicht in meinem Cafe.«
»Sie ist doch nur ein Mädchen!«, rief ein Gast. »Gib dem Mädchen eine Chance.«
Er erntete zustimmendes Gemurmel von anderen Gästen. Sally Mullin nahm Snorri genauer in Augenschein, und ihre Züge wurden milder. Es stimmte. Sie war nur ein Mädchen – höchstens sechzehn, dachte Sally. Sie hatte weißblonde Haare und klare, fast durchscheinende blaue Augen wie die meisten Händler, aber sie hatte nicht diese abgebrühte Miene, an die Sally mit Schaudern zurückdachte.
»Na ja ...«, sagte Sally und lenkte ein. »Wie es aussieht, wird es gleich dunkel, und ich bin kein Unmensch, der ein junges Mädchen allein in die Nacht hinausjagt. Was wünschen Sie, Miss?«
»Ich ... ich«, stammelte Snorri, während sie angestrengt versuchte, sich ihre Grammatik ins Gedächtnis zu rufen. Hieß es ich hätte gern oder ich würde gern? »Ich hätte gern ein Stück von Ihrem ausgezeichneten Gerstenkuchen und einen halben Liter Springo Spezial Ale, bitte.«
»Springo Spezial?«, rief jemand. »Das ist ein Mädchen ganz nach meinem Geschmack.«
»Sei still, Tom«, fuhr ihn Sally an, und an Snorri gewandt, sagte sie: »Besser, Sie probieren zuerst das normale Springo.« Sie zapfte das Bier in einen großen Tonkrug und schob es über den Tresen. Snorri kostete einen Schluck und verzog angewidert das Gesicht. Sally war davon nicht überrascht. Springo war gewöhnungsbedürftig, und die meisten jungen Leute fanden es scheußlich. Sogar sie selbst fand es an manchen Tagen ziemlich widerlich. Sie schenkte einen Becher Zitronenlimonade mit Honig ein und stellte ihn auf ein Tablett, zusammen mit einem großen Stück Gerstenkuchen. Das Mädchen sah so aus, als könnte es eine kräftige Mahlzeit gebrauchen. Snorri bezahlte mit einem ganzen Silberschilling und bekam von der überraschten Sally als Wechselgeld eine Handvoll Pennys zurück. Dann setzte sie sich an einen freien Tisch am Fenster und blickte auf den Fluss hinaus, über den sich die Dunkelheit senkte.
Die Gespräche im Cafe wurden wieder aufgenommen, und Snorri stieß einen erleichterten Seufzer aus. Allein in Sally Mullins Cafe zu gehen war das Schwierigste, was sie in ihrem ganzen Leben getan hatte. Schwieriger noch, als zum ersten Mal ohne fremde Hilfe mit der Alfrun in See zu stechen, schwieriger noch, als mit dem Geld, das sie jahrelang gespart hatte, all die Handelswaren zu kaufen, die sich jetzt im Laderaum der Alfrun stapelten, schwieriger noch, als über das große Nordmeer zu segeln, das die Heimat der Nordhändler von dem Land trennte, in dem Sally Mullin ihre Tee- und Bierstube betrieb. Aber sie hatte es geschafft. Sie trat in die Fußstapfen ihres Vaters, und niemand konnte sie aufhalten. Nicht einmal ihre Mutter.
Später am Abend kehrte Snorri auf die Alfrun zurück. Sie wurde von Ullr in seiner Nachtgestalt empfangen. Der Kater begrüßte seine Herrin mit einem langen, tiefen Knurren und folgte ihr übers Deck. Snorri, die so viel Gerstenkuchen verdrückt hatte, dass sie sich kaum noch rühren konnte, setzte sich auf ihren Lieblingsplatz im Bug und streichelte NachtUllr, einen schlanken, mächtigen Panther, schwarz wie die Nacht, mit meergrünen Augen und roter Schwanzspitze.
Sie war zu aufgeregt zum Schlafen. Sie saß da, den Arm schlaff auf Ullrs warmem, seidig weichem Fell, und blickte über den breiten Fluss zum anderen Ufer, wo die Ackerlande begannen. Später in der Nacht, als es kalt wurde, wickelte sie sich in eine Musterbahn des dicken Wollstoffs, den sie auf dem in zwei Wochen beginnenden Händlermarkt zu verkaufen gedachte – und zwar zu einem guten Preis. Auf ihrem Schoß lag ein Stadtplan der Burg, der zeigte, wie man zum Marktplatz kam. Auf der Rückseite des Plans war genau erklärt, wie man eine Genehmigung für einen Stand erhielt und welche Vorschriften für den Kauf und Verkauf galten. Snorri entzündete die Öllampe, die sie aus ihrer kleinen Kajüte unter Deck geholt hatte, und setzte sich hin, um die Vorschriften zu lesen. Der Wind war inzwischen abgeflaut, und der leichte Nieselregen vom frühen Abend hatte
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