Septimus Heap 03 - Physic
Feuerspei anscheinend zu Kopf stieg, denn er landete auf dem Kai, reckte den Hals und knurrte so heftig, dass es Wolfsjunge durch und durch ging. Die Leute waren begeistert, den Drachen einmal aus allernächster Nähe zu sehen, besonders nach einem so waghalsigen Landemanöver, und traten näher, wobei sie auf die verschiedenen merkwürdigen Teile zeigten, die zu jedem Drachen gehörten.
»Was für furchterregende schwarze Stacheln er hat...«
»Sieh doch nur, wie groß sein Schwanz ist...«
»Also ich wollte nicht zwischen diesen Krallen klemmen ...«
Und dann, als sie Wolfsjunge bemerkten: »Da sitzt ja ein Junge auf seinem Rücken ...«
»Was für einen stechenden Blick er hat. Dem möchte ich nicht in dunkler Nacht begegnen.«
»Pst! Er könnte dich hören.«
»Aber woher denn. Horch! Was ist das?«
Das Knurren in Feuerspeis Bauch wurde lauter. Jenna wusste, was jetzt kam, und sprang zurück. Dabei verlor sie den Halt und fiel vom Rand des Kais ins Wasser. Immer noch wie gebannt vom Anblick des Drachen, schenkte die Menge dem Platschen, mit dem ihre Prinzessin im Wasser verschwand, nicht die geringste Beachtung. Wie von einem Magneten angezogen, rückte die Menge immer näher und näher, bewunderte, wie Feuerspei den Kopf zurückwarf und die Nüstern blähte, und lauschte dem vulkanischen Rumpeln in seinem Leib. Niemand bemerkte, wie Jenna wieder auftauchte, einen kleinen, aber ekligen toten Fisch ausspuckte und zu der Treppe am Ende des Kais schwamm.
Plötzlich schoss unter lautem Getöse eine heiße Gaswolke aus Feuerspeis Nüstern und entzündete sich. Zehn, zwanzig, dreißig Sekunden lang schlug eine Flamme hoch in den Himmel und über das Wasser und setzte die Segel zweier Heringsfänger in Brand, die einen Teil der Bootsblockade bildeten. Am Ende der dreißig Sekunden war die Menge verschwunden. Viele waren in Sally Mullins Cafe geflüchtet, wo man ihnen einen der vielen bereitstehenden Löscheimer in die Hand drückte und befahl: »Los, löschen Sie den Drachen, bevor wir alle in Flammen aufgehen.« Die übrigen sah man den Hang zum Südtor hinaufrennen, um eine fantastische Geschichte reicher, die sie zur Mittagszeit in den Wirtshäusern erzählen konnten.
Bis zum Abend hatten die meisten Burgbewohner wenigstens eine Version der Geschichte von der Entführung der Prinzessin durch den Zaubererdrachen gehört. »Aber wenn ich es euch doch sage. Ein riesiges Ungetüm. Dann hat er sie wie einen Stein fallen lassen. Jawohl. Wie einen Stein. Nein, passiert ist ihr nichts. Nein, sie ist nicht hart aufgeschlagen. Sie ist in den Fluss gefallen. Sie ist eine gute Schwimmerin, das Mädchen. Aber da habt ihr’s. Der Drache hat sich verwandelt. Das tun sie alle. Ja, und dann schoss eine große Stichflamme aus seiner Nase, direkt auf mich zu – und hat mir die Haare versengt, siehst du? Nein, nicht da, hier, nein, hier! Du solltest dir eine anständige Brille zulegen, mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Den meisten Leuten kam auch die andere Version zu Ohren, wonach die Prinzessin mit ihrem Unglücksboot die Seuche eingeschleppt und obendrein versucht habe, die Rattenwürger mit Hilfe eines schwarzen Zaubers in der Burgmauer einzuschließen. »Du willst Beweise? Die kann ich dir liefern. Sie hat zwei Schädlinge gerettet. Nein, keine Heringe, Schädlinge. Bist du taub? Ratten, du Blödian, Ratten! Sie hat sie mit ihrem Drachen weggebracht. Was sagst du jetzt?« Darauf lehnte sich der Sprecher zurück und verschränkte mit selbstgefälligem Grinsen die Arme.
Es war, wie die Leute feststellten, durchaus möglich, beide Versionen zu glauben, je nachdem, mit wem man gerade sprach. Aber in einem Punkt waren sich alle einig: In dieser jungen Prinzessin steckte mehr, als man zunächst gedacht hatte. Viel mehr.
Stanley und Dawnie hatten mit großer Erleichterung beobachtet, wie die Menge davonlief. In der allgemeinen Aufregung hatte niemand bemerkt, dass sie zwischen Feuerspeis dicken Stacheln kauerten. Nun setzten sie sich wieder aufrecht hin, und Dawnie machte es sich mit der Miene einer Ratte bequem, die es gewohnt war, mit Drachen zu fliegen. »Na, hoffentlich starten wir bald«, sagte sie. »Ich sterbe vor Hunger. Mir wäre jetzt nach einem Mittagessen in Port.«
Stanley stöhnte, sagte aber nichts. Er sah zu, wie Jenna triefend nass wieder auf Feuerspei kletterte. »Alles in Ordnung, Euer Majestät?«, fragte er.
Jenna störte es nicht, dass Stanley sie mit Euer Majestät ansprach. Im Gegenteil, es gefiel
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