Septimus Heap 06 - Darke
hören Sie sofort damit auf.« Die Wände hallen von seiner schrillen Stimme wider.
Marcia bekommt eine Gänsehaut, doch sie lässt sich nicht beirren. Sie murmelt weiter die Zauberformel, die genau eine Minute lang dauern und ohne jede Unterbrechung, Wiederholung oder Abweichung vom korrekten Wortlaut zu Ende gesprochen werden muss. Marcia weiß, dass sie beim kleinsten Stocken wieder von vorn anfangen muss.
Tertius Fume weiß das auch. Er kommt immer näher, krabbelt wie eine Spinne an der Wand herauf, schleudert Marcia Schmähungen und Gegenzauber entgegen, trällert irgendwelche Liedfetzen, alles nur, um sie durcheinanderzubringen.
Aber Marcia lässt sich nicht verwirren. Sie hört einfach nicht hin und spricht stur weiter. Als sie jedoch zu den letzten Zeilen des Verbannungszaubers kommt – »gezählt sind deine Tage auf Erden, sollst nie mehr der Sonne ansichtig werden« –, bemerkt sie aus dem Augenwinkel, dass ihnen der Geist Tertius Fumes schon ganz nahe ist. Jähe Sorge befällt sie. Was führt er im Schilde? Sie erreicht die allerletzte Zeile. Nur noch Zentimeter trennen den Geist von ihr und Alther. Er späht zu ihnen herauf, erregt – beinahe frohlockend.
Marcia beschließt die Formel mit den gefürchteten Worten: »Mit der Kraft der Magie verbanne ich dich nun in die ...«
Ehe ihr das allerletzte Wort über die Lippen kommt, streckt Tertius Fume die Hand nach Alther aus und berührt ihn am großen Zeh. Alther zieht den Fuß weg, doch es ist zu spät.
»... Finsterhallen.«
Plötzlich ist Marcia allein im Schacht von Verlies Nummer Eins. Ihr Albtraum ist wahr geworden.
»Alther!«, schreit sie. »Alther, wo sind Sie?« Es kommt keine Antwort. Alther ist verbannt.
* 1 *
1. Der Besuch
L u cy Gringe ergatterte den letzten Sitzplatz auf der Morgenfähre von Port. Sie quetschte sich zwischen einen jungen Mann, der ein angriffslustiges Huhn in den Armen hielt, und eine hagere, erschöpft aussehende Frau, die in einen Wollmantel gehüllt war. Die Frau, die unangenehm durchdringende blaue Augen hatte, warf ihr nur einen kurzen Blick zu und sah dann wieder weg. Lucy stellte ihre Tasche neben ihren Füßen ab, um den Platz zu besetzen. Sie hatte nicht die Absicht, während der Fahrt zur Burg auch nur ein einziges Mal aufzustehen. Die Frau mit den blauen Augen würde sich daran gewöhnen müssen, dass sie eingeklemmt war. Lucy drehte sich um und blickte zum Kai zurück. Sie sah Simon Heap am Ufer stehen, eine verfroren und einsam wirkende Gestalt, und sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln.
Es war ein trüber, kalter Morgen, und Schnee lag in der Luft. Simon fröstelte und erwiderte ihr Lächeln gequält. »Pass auf dich auf, Lu!«, schrie er gegen den Krach an, der das Anschlagen des Segels begleitete.
»Du auch!«, rief Lucy zurück und stieß mit dem Ellbogen das Huhn beiseite. »Am Tag nach der Längsten Nacht bin ich wieder da. Versprochen.«
Simon nickte. »Hast du meine Briefe?«, rief er.
»Natürlich«, erwiderte Lucy. »Wie viel?« Die Frage war an den Fährjungen gerichtet, der den Fahrpreis kassierte.
»Sechs Pennys, Schätzchen.«
»Nenn mich nicht Schätzchen!«, brauste Lucy auf, kramte in ihrem Portemonnaie und ließ einen Haufen Messingmünzen in die ausgestreckte Hand des Jungen fallen. »Dafür könnte ich mir ja ein eigenes Boot kaufen«, moserte sie.
Der Junge zuckte mit den Schultern. Er reichte ihr die Fahrkarte und wandte sich der Fremden neben ihr zu, die, nach ihrer verschmutzten Kleidung zu urteilen, eine lange Reise hinter sich hatte und eben erst in Port eingetroffen war. Die Frau gab dem Jungen ein großes Geldstück aus Silber – eine halbe Krone – und wartete geduldig, bis er umständlich das Wechselgeld abgezählt hatte. Als sie ihm höflich dankte, bemerkte Lucy, dass sie einen fremden Akzent hatte, der sie an jemanden erinnerte, doch sie kam nicht darauf, an wen. Bei der Kälte konnte sie nicht klar denken. Außerdem war sie zu aufgeregt. Sie war lange nicht mehr zu Hause gewesen, und nun, da sie auf der Fähre zur Burg saß, wurde ihr bei dem Gedanken daran doch ein wenig bang. Sie wusste nicht, wie sie empfangen werden würde. Und sie ließ Simon nur ungern allein.
Die Fähre geriet in Bewegung. Zwei Hafenarbeiter stießen das lange, schmale Boot vom Ufer ab, und der Fährjunge hisste das verschlissene rote Segel. Lucy winkte Simon ein letztes Mal zu, dann schwenkte die Fähre von der Kaimauer weg und steuerte auf die Mitte des Flusses hinaus in die
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