Serafinas später Sieg
sprechen, und Hasan bat ihn untertänig ins Haus. Serafina hatte vor Aufregung aufgehört zu kauen und saß mit offenem Mund da. Kurz darauf erschien der Fremde wieder – diesmal in Begleitung Kara Alis, der sich angeregt mit ihm unterhielt.
»Das Mädchen ist tot«, erklärte er dem Besucher. »Sie war ein kränkliches Geschöpf.«
Serafina rollte die Mandel, die sie in den Mund zu stecken vergessen hatte, zwischen den Fingern hin und her und lauschte gespannt. Die beiden kamen nahe an ihr vorbei, als der Arzt seinen Besucher zu den Bäumen führte, unter denen seine Tochter begraben lag.
»Ich bedauere, Ihnen nicht zu Diensten sein zu können, mein Freund«, fügte Kara Ali hinzu. »Sie hat mich nur fünfzig Asper gekostet – ich hätte einen ansehnlichen Gewinn machen können.«
Die Schale auf Serafinas Schoß kippte, und die restlichen Mandeln rollten auf den Boden, doch Serafina rührte sich nicht. Atemlos starrte sie die beiden Männer an, die mit dem Rücken zu ihr vor dem Grab standen.
Der Soldat breitete die Hände aus. »Es hat nicht sollen sein. Allah hat getan, was ansonsten meine Pflicht gewesen wäre. Gott mit Ihnen, mein Freund.«
»Gott mit Ihnen.« Kara Ali begleitete seinen Gast zum Haus zurück. Serafina verbarg das Gesicht in ihrem Schoß: Sie hatte Angst, daß die brennende Frage in ihren Augen bis zu den Türken hinüberleuchten und sie verraten könnte. »Sie hat mich nur fünfzig Asper gekostet – ich hätte einen ansehnlichen Gewinn machen können.« Die Worte hallten durch ihren Kopf wie Paukenschläge. Plötzlich hatte sie keinen Appetit mehr. Als sie Hufschläge hörte, hob sie den Kopf: Der Soldat und seine Begleiter waren in einer Staubwolke verschwunden.
Und dann rief Kara Ali ihren Namen. Es war Nachmittag, die Luft flimmerte vor Hitze. Der Arztstand im Innenhof neben dem Brunnen. Er wirkte zutiefst beunruhigt.
»Hör mir gut zu, Kleines«, sagte er eindringlich. »Du heißt nicht länger Serafina – ab jetzt bist du Badr-al-Dujja und lebst seit deiner Geburt hier. Vergiß deine Heimat, vergiß deine Familie – es ist besser so.«
Serafina starrte ihn an. Badr-al-Dujja war der Name seiner verstorbenen Tochter. »Weshalb?« fragte sie.
Er schwieg lange. Schließlich sagte er: »Weil du dann in Sicherheit sein wirst, Kleines.«
In Sicherheit. Mit klebrigen Fingern die blaue Schale umklammernd – sie hatte völlig vergessen, daß sie die gestohlen hatte –, ließ Serafina den Blick durch den Innenhof gleiten, der von der Küche, den Ställen und den Arbeitsräumen ihres Herrn umgeben war. »Ich bin in Sicherheit!« erwiderte sie aufsässig.
Kara Ali schalt sie nicht wegen ihres Trotzes, er schüttelte nur besorgt den Kopf. »Es gibt Menschen, die dir übelwollen, Kind«, sagte er sanft.
Sie verstand das alles nicht. Warum sollte sie ihren Namen ändern, ihre Heimat und ihre Familie vergessen?
Die hochstehende Sonne zeichnete scharfe Schatten auf Kara Alis Gesicht. »Wer wird das Vermögen deines Vaters erben, Kleines?«
»Mein einziger Verwandter ist ein Halbkusin, aber es wird alles mir gehören.« Sie hatte bisher nie darüber nachgedacht, daß sie mit ihren erst elf Jahren das Oberhaupt des Hauses Guardi war. Dann fiel ihr Michele Corsini ein. »Und meinem Ehemann natürlich«, fügte sie hinzu. »Wir waren auf dem Weg nach Italien, weil ich mit einem Florentiner Grafen verlobt werden sollte.«
»Und falls dir etwas zustieße«, hakte der Arzt nach, ohne sie anzusehen, »an wen fiele der Besitz dann?« An diese Möglichkeit hatte sie noch nicht gedacht. »Ich weiß es nicht.«
Der Arzt bedeutete ihr, sich neben ihn auf den Brunnenrand zu setzen. »Kleines – der Soldat, der vorhin hier war, hat mir eine große Summe geboten: Ich sollte dich töten! Ich sagte, du seist an einem Fieber gestorben, das du dir im Bagno zugezogen hättest, und zeigte ihm das Grab meiner Tochter als deines.«
Trotz der Hitze fror Serafina plötzlich. Ihr Herr hatte dem Fremden erzählt, sie sei tot. Der Soldat hatte ihm Geld geboten, damit er sie tötete …
Die blaue Schale entglitt ihren Fingern und zerschellte auf dem Steinboden. Serafina stellte keine Fragen mehr, sie akzeptierte Kara Alis Worte als weiteren Beweis dafür, daß die Welt schlecht war. Eine Weile war sie unfähig, zu sprechen oder sich zu bewegen, doch schließlich sank sie auf die Knie und begann, die Tonscherben aufzusammeln, ein schwieriges Unterfangen, da ihre Finger ihr nicht recht gehorchen wollten. Als
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