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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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nicht auf mich.«
    »Das stimmt.« William Williams schüttelte den Kopf. Plötzlich neigte sich das Schiff zur Seite. Die Sanduhr fiel um und rollte über den Tisch. Thomas konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie zu Boden fiel. Er nahm seinen Hut und machte sich auf den Weg zum Halbdeck.
    George Goodlay stand neben dem Besanmast. Mit der einen Hand, die in einem bestickten Handschuh steckte, stützte er sich auf einen Spazierstock, an dem bunte Bänder flatterten, den anderen Arm hatte er um den Mast gelegt. Er trug purpurroten, gesteppten Samt und einen mit Steinen besetzten Federhut.
    Mit übermenschlicher Anstrengung um Höflichkeit bemüht, nickte Thomas zum Bug hin und sagte: »Ich halte es für möglich, daß wir ein wenig vom Kurs abgekommen sein könnten, Sir.« Er mußte brüllen, um sich gegen den tosenden Sturm und den prasselnden Regen Gehör zu verschaffen.
    »Wenn es so ist, dann liegt die Schuld dafür zweifellos bei Ihnen«, gab der Kapitän herablassend zurück.
    Thomas knirschte vor Wut mit den Zähnen. Allerdings bereitete die Erscheinung des sogenannten Kapitäns ihm eine kleine Genugtuung: Hutkrempe und Spitzenjabot hingen durchweicht herunter, und das Gesicht wies eine aparte Grüntönung auf. Thomas unterdrückte ein boshaftes Grinsen und sagte: »Wir werden zu weit nach Süden abgetrieben, Sir, und wir segeln zu nah an der Küste. Sie müssen Befehl zum Wenden geben, Sir.«
    Ein Brecher riß die beiden Männer fast von den Füßen. Als er seinen Hut wieder richtig aufgesetzt hatte, richtete der Kapitän seine grauen Augen hochmütig auf Thomas.
    »Ich muß, Mr. Marlowe? Sie haben wohl vergessen, wer auf diesem Schiff das Sagen hat, mein Guter.«
    Wieder mußte Thomas gegen den Impuls ankämpfen, den Mann niederzuschlagen. »Und Sie haben offenbar vergessen, wer der Steuermann dieses Schiffes ist, Sir«, schnauzte er zurück, riß seinen Hut aus der Takelage, wohin die Welle ihn getragen hatte, und stampfte zurück unter Deck.
    Am späten Nachmittag legte sich der Sturm. Zu dieser Zeit waren das einzig Trockengebliebene an Bord der Toby die kostbaren Ballen Hampshire- und Devonshire-Kersey, das Dutzend taftgefütterte Hüte, die sechs Dutzend Leinenhemden und die Blechkisten im Lagerraum. Die Haare der Besatzung waren salzverklebt, die Augen rotgerändert von Wind und Erschöpfung.
    Doch Thomas Marlowe schlief noch immer nicht: Die Arme auf die Reling gestützt, betrachtete er die kupferfarbene Sonne, die sich in der See spiegelte, während sein Verstand allmählich die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreichte.
    Wie Thomas gesagt hatte, befanden sie sich zu weit südlich und zu nah an der Küste. Vor zwei Tagen hatten sie den Bujeo gesichtet – und jetzt waren sie irgendwo vor der Berber-Küste, südlich von Kap Espartel. Es war angeraten, sich von der Küste und den gefährlichen Strömungen und Sandbänken fernzuhalten und zu der Meerenge zurückzufahren. Stattdessen zwang der Kapitän – in dem Bestreben, Zeit gutzumachen – die Mannschaft, die ganze Nacht vor dem auffrischenden Wind herzusegeln. Die Sonne verschwand gerade hinter dem Horizont, als Thomas Marlowe aufstöhnend das Gesicht in den Händen barg. Wenn er George Goodlay nur hätte klarmachen können, daß die navigatorischen Geräte für ihn nur Hilfsmittel waren und daß er die Bewegungen der See und den Verlauf der Küsten im Blut hatte, dann hätte der Mann ihn vielleicht verstanden, anstatt ihn als dreisten Frechling zu betrachten, den man auf seinen Platz verweisen mußte. Doch sobald die beiden miteinander sprachen, degradierte George Goodlay ihn binnen Sekunden zu einem aufsässigen Schuljungen. William Williams – der ungebildete Williams, der Analphabet – konnte wesentlich besser mit dem Kapitän umgehen, doch auch er war nicht in der Lage, ihn dazu zu überreden, den Kurs zu ändern. Thomas wußte, daß sie geradewegs ins Verderben segelten. Es ereilte sie eine halbe Stunde vor Tagesanbruch. Thomas hatte sich unter dem Steuer zusammengerollt. Plötzlich lief ein unheilvolles Beben, begleitet von einem scharrenden Geräusch, durch den Schiffsrumpf. Thomas war sofort auf den Beinen und stürzte zur Reling. In diesem Augenblick rief der Mann auf dem Ausguck: »Alle Mann an Deck – wir sind auf Grund gelaufen!« Als Thomas sich umdrehte, sah er George Goodlay mit schlafverquollenem Gesicht zum Vordeck heraufklettern. Unwillkürlich schlossen sich seine Finger um den Griff seines Messers, doch gleich darauf

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