Serafinas später Sieg
bewußt, er glaubte, es sei die Stimme der Fiametta , die sich verzweifelt gegen das Schicksal wehrte, dem sie nicht entkommen konnte.
Seine Rettung verdankte er seiner Skrupellosigkeit und Menschenverachtung. Er war ins Wasser gesprungen. Ein paar Meter von ihm entfernt schaukelte ein Faß auf den Wellen, an das sich einer seiner Matrosen klammerte. Als Boje für zwei Männer würde es nicht ausreichen. Angelo zog sein Messer und erstach den Seemann, bevor dieser ihn überhaupt wahrgenommen hatte. Die Finger des Toten öffneten sich, und das klare blaue Wasser färbte sich rot.
Hinter ihm versank die Fiametta und mit ihr Lorenzo Nadis Gold in der unergründlichen See. Die Korsarengaleere war bereits außer Sicht. Die drei englischen Schiffe hatten ihr Ziel erreicht, rollten ihre Kanonen zurück und schlossen die Schießscharten. Kurze Zeit später lag das Meer still und verlassen da. Die letzten Sonnenstrahlen malten Muster auf die zypriotische Küste. Angelo, der kein guter Schwimmer war, ließ sich mit dem Faß an einen silberweißen Strand schwemmen – und dort schlief er ein.
VIERZEHNTER TEIL
1597
UNANGEBRACHTE
DINGE
Nehmt nur mit, was notwendig ist und guten Zwecken dient, denn unangebrachte Dinge werden euch Mißgunst und Verachtung einbringen.
Notizen für die Entdeckung der Nord-Ost-Passage:
Richard Hakluyt
Für die Kapitäne der English Levant Company bedeutete das Versenken der Fiametta nicht mehr als die Erfüllung der notwendigen Pflicht, Störenfriede, die den Handel behinderten, aus dem Weg zu räumen. Für Edward Whitlock war es eine weitere Geschichte, die er nach seiner Rückkehr seinem Sohn erzählen könnte, und für John Keane ein weiterer Grund, sich – offiziell wegen seiner schwindenden Sehkraft – aus der Seefahrt zurückzuziehen.
Thomas Marlowe hörte die Neuigkeit zwei Monate später im Hafen von Alexandria: Einer seiner Landsleute erzählte sie ihm, als er ihn zufällig an der Mole traf, wo Thomas das Beladen der Kingfisher überwachte. Der Mann hatte Mühe, sich bei dem Lärm der Hämmer und Sägen und summenden schwarzen Fliegenschwärme verständlich zu machen und befeuchtete seine strapazierte Kehle zwischendurch immer wieder mit einem Schluck Aquavit aus der Flasche, mit der er den Sieg der Engländer feierte. Er lud Thomas zum Mittrinken ein, der dankend ablehnte, aber die See mit erhobener Faust grüßte.
Lorenzo Nadi erfuhr nichts vom Schicksal der Fiametta – und auch Signora Capriani ahnte nichts davon, daß ihrem Todfeind ein so harter Schlag versetzt worden war.
Im Mai erfuhr der Bettler Jules Crau, daß in der Heiliggeistkirche in Aix-en-Provence Brot an die Armen verteilt werden sollte, und so entschloß sich der Vater, dem die glanzlosen Augen und der ausgemergelte Körper seiner Tochter das Herz zerrissen, mit ihr dorthin zu gehen.
Die Sonne schien, und der Himmel war wolkenlos. Jules trug Isabelle auf den Schultern. Mit knochigen Fingern hielt sie sich an seinem Kopf fest. Bei ihrem Ausflug im letzten Sommer hatte er Gänseblümchen für sie gepflückt und gesungen, heute war er dazu nicht mehr in der Lage. Hunger und Verzweiflung hatten seine Kräfte aufgezehrt, es bereitete ihm unsägliche Mühe, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und Isabelles kaum spürbares Gewicht erschien ihm wie eine schwere Last.
In der Kirche roch es nach Weihrauch und ungewaschenen Körpern. Hohe Wände mit Nischen, in denen Heiligenfiguren standen, und bunte Glasfenster bildeten den Rahmen für die Speisung der Bedürftigen, die in so großer Zahl gekommen waren, daß Jules den Eindruck gewann, als hätten sich die Hungernden der gesamten Provence eingefunden, um einen Kanten Brot zu ergattern. Isabelle stand, die kleine zerbrechliche Hand in der seinen, neben ihm. Zum ersten Mal seit langem drückten ihre Augen wieder eine Empfindung aus: Furcht.
Jules konnte das Eintreffen des Pfarrherrn und seiner Helfer nicht sehen, aber er roch es: Ein verheißungsvoller, unendlich süßer Duft zog plötzlich durch das Kirchenschiff und überdeckte den Geruch von Weihrauch und Schweiß. Nun kam Bewegung in die wartende Menge. Binnen Sekunden vereinigte sie sich zu einem einzigen gierigen Wesen, das rücksichtslos vorwärts drängte. Jules erkannte die Gefahr und wollte Isabelle hochheben und wieder auf seine Schultern setzen, doch es war zu spät: Er war eingekeilt, unfähig, die Arme zu bewegen. »Belle!« schluchzte er, und dann spürte er, wie ihre kleinen Finger
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