Serafinas später Sieg
ihre Aufgabe, den Transport von Seide, Grogram und Mohair nach Arles, Beaucaire und Valence und auf den Markt von Lyon zu bewachen. Umgekehrt mußte gewährleistet sein, daß die Wollstoffe und Kerseys sicher Marseille und Italien erreichten. Der Religionskrieg hatte Frankreich zu einem unsicheren Pflaster für Gold- und Tuchtransporte gemacht. Monsieur Jacques jammerte zwar ständig über die Kosten für die Söldner, doch er wußte, daß sie ein notwendiges Übel waren.
Im Winter führte Franco Guardi seine Tochter intensiv in die Geschäfte ein. Er hatte erkannt, daß er in der Vergangenheit stets zu beschäftigt und auch zu oft verreist gewesen war, um sich ihr ausreichend zu widmen. Er freute sich über ihr Interesse an den Belangen, die ihm so sehr am Herzen lagen, und er freute sich auch darüber, daß Angelo und Jehan, die oft miteinander gestritten hatten, endlich besser auszukommen schienen. Er erklärte seiner Tochter die Wichtigkeit von Angestellten wie Angelo und Jehan und schärfte ihr ein, sie stets mit Respekt zu behandeln. Serafina errötete, als sie sich daran erinnerte, wie herablassend sie mit Angelo umgegangen war, und schwor sich, ihre Worte in Zukunft mit mehr Bedacht zu wählen. Zu Monsieur de Coniques war sie immer höflich gewesen, etwas anderes wäre ihr gar nicht in den Sinn gekommen.
Der Notar strahlte eine unterschwellige Ablehnung aus, die sogar Serafina auffiel. Diese Ablehnung richtete sich nicht gegen eine bestimmte Person, sondern gegen die Welt im allgemeinen. Jehan de Coniques war damals noch recht jung – Mitte Zwanzig –, doch die Verbitterung darüber, alles verloren zu haben, ließ ihn doppelt so alt erscheinen. Er tolerierte Serafina, wie er alle tolerierte, die ihm gleichgestellt oder übergeordnet waren. Vielleicht lag darin der Grund für seine Schwierigkeiten mit Angelo, dessen Position konnte er nicht einordnen. Angelo war zwar ein Bastard, aber er hatte eine familiäre Beziehung zu den Guardis und aß mit am Tisch. Serafina hatte manchmal den Verdacht, daß Monsieur de Coniques wußte, daß Angelo sich über ihn lustig machte, was er ständig tat – mit Serafina als Publikum. Er drehte dann seinen Hut zu einer Anwaltskappe zusammen und verzog sein Gesicht in einer Mischung aus Gram und Stolz. »Meine Familie hatte drei Schlösser und hundert Männer unter Waffen«, klagte er. »Und nun ist uns nicht einmal mehr ein Nachttopf geblieben.« Serafina vergaß völlig, daß ihre Stellung ihr eine gewisse Würde abverlangte, und wälzte sich in Lachkrämpfen am Boden.
In jenem Winter war sie glücklich. Sie hatte sich an den Gedanken gewöhnt, sich zu verloben – ja, sie freute sich sogar darauf, seit ihr klargeworden war, daß ihr zukünftiger Status ihr eine zusätzliche und erfreuliche Wichtigkeit im Hause Guardi verlieh. Nicht einmal der Mistral – zunächst nur ein Rascheln trockener Blätter und Abfälle in den Gossen, dann kupfergoldene Wolkentürme am Horizont und schließlich ein Ungeheuer, das die Ziegel von den Dächern stahl und die Schiffe aus ihren Verankerungen riß – ängstigte Serafina wie früher, als sie Schutz in Marthes Armen suchte. Sie war jetzt erwachsen, sie würde sich verloben. Anstatt sich zu fürchten, spähte sie zwischen den Fensterläden hindurch und sah zu, wie Schiffe wie Spielzeuge zerbrachen und das Dach der Bäckerei gegenüber abgedeckt wurde.
Erst am Abend vor ihrer Reise in die Toskana geriet ihr Gleichmut ins Wanken. Serafina war den ganzen Tag unruhig gewesen – unfähig zu nähen oder zu lesen, umgetrieben von einer unbestimmten, wachsenden Angst. Marthe hatte Franco Guardi erklärt, daß sie nicht mitkommen werde, ihre Sehkraft sei inzwischen zu schwach und ihre Gesundheit zu wenig stabil. Ein nervöses, fahriges Ding namens Mathilde sollte Serafina als Zofe begleiten.
Als Serafina mit ihrer Puppe auf dem Schoß am Fenster saß, kam ihr in den Sinn, daß bei ihrer Rückkehr nichts mehr so sein würde wie bisher. Sie wäre dann kein Kind mehr, sondern eine verlobte junge Frau und gehörte zu einem alten Mann in Florenz.
Nein! Sie ballte die Fäuste. Rosalie fiel zu Boden. Serafina merkte es nicht. Die Taschen und Kisten, die Marthe gepackt hatte, verschwammen vor ihren Augen. Franco Guardi stand mit dem Rücken zu ihr am Kamin und starrte ins Feuer. Nein! dachte sie. Ich bin hier zu Hause! Ich bin eine Guardi! Warum soll ich mein Heim verlassen? »Serafina?« Ihr Vater hatte sich ihr zugewandt und trat auf sie zu. »Was
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