Sex and the Office
ausschließlich am Küchenfenster oder auf dem Balkon rauchte, war das noch lange kein Grund, päpstlicher als der Papst zu sein. Zudem hatte ich mir Zigaretten ohnehin so gut wie abgewöhnt; den heutigen Tag verbuchte ich als Ausnahmesituation.
Keine Ahnung, wie lange ich so dagelegen hatte, ehe mein Blick zum Nachttisch geschweift war, auf dem neben einer Reihe von Familienfotos auch meine alte Leica-Kamera stand. Ich wollte immer schon Fotografin werden, hatte aber erkennen müssen, nicht talentiert genug zu sein, und es bei einem Hobby belassen. In letzter Zeit fotografierte ich kaum noch. Als ich einen tiefen Zug inhalierte, wanderten meine Augen zu dem gerahmten Foto, das meine Eltern eng umschlungen auf ihrer Veranda im Rheinland zeigte. Seufzend nahm ich das Bild in die Hand und betrachtete es eine Weile. Und wie so oft fragte ich mich, wie meine Eltern – bei denen nicht selten die Fetzen flogen – es seit fast dreißig Jahren miteinander aushielten, während meine längste Beziehung gerade einmal acht Monate und vier Tage gedauert hatte. Ich blies den Zigarettenrauch in die Luft und erinnerte mich, als wäre es gestern gewesen, wie wir im Sommer vor vier Jahren zusammen im Garten gesessen hatten und ich stolz verkündet hatte, mein Glück als Fotografin versuchen zu wollen. Mutter hatte nur gelacht und mich besorgt angesehen, ehe sie mir wieder einmal nahegelegt hatte, im Chemiewerk meines Vaters anzufangen. Später war es schließlich auf ein abgebrochenes Jurastudium hinausgelaufen, gefolgt von unzähligen Praktika, die mir allesamt lieber waren, als in einem Chemiewerk zu versauern. Gedankenverloren drückte ich die Zigarette auf einem Kaugummipapier aus und stellte das Bild wieder zurück. Daneben stand ein Schnappschuss meiner beiden besten Freundinnen, aufgenommen in einem Zeltlager, als wir zwölf waren, wobei mir siedend heiß einfiel, dass wir gleich zum Video-Chat verabredet waren. Ich schwang mich aus dem Bett und klappte den Laptop auf meinem Schreibtisch auf. Wir skypten jeden Montagabend, was augenblicklich eine mehr als willkommene Ablenkung war. Ich war mit Valerie und Rebecca – von allen nur Becks genannt, da sie ihren Vornamen noch nie ausstehen konnte – in Birkenfeld zur Schule gegangen. Seither waren wir unzertrennlich. Na ja, fast. Nach meinem Umzug nach Berlin Anfang des Jahres hatte Valerie ein Praktikum bei FriendlyShoes.com absolviert, einem Online-Versandhaus, das auf Damenschuhe spezialisiert war. Leider waren die Schuhe von FriendlyShoes überhaupt nicht friendly, denn die High Heels, die sie mir neulich geschickt hatte, waren die reinste Fußfolter. Aber Valerie wäre nicht Valerie, wenn sie mir nicht gleich noch ein Paar Riemchensandalen für die nächste Betriebsfeier, ein knallrotes Paar Pumps zum Ausgehen sowie ein hochgeschlossenes Paar Ankleboots für Geschäftstermine mitgeschickt hätte. Ich hatte mich überschwänglich bei ihr bedankt und die Teufelstreter sofort bei Ebay reingestellt. Bei dem Gedanken daran fiel mir einmal mehr auf, wie sehr mir Valerie fehlte. Die gemeinsamen Abende, an denen wir bei einer Flasche Prosecco und unzähligen Blueberry-Muffins über den Sinn des Lebens philosophiert oder aber Rotz und Wasser geheult hatten, wenn uns die Männerwelt mal wieder enttäuscht hatte. Keiner kannte mich so gut wie Valerie. Außer vielleicht Becks, die Rebellin im Bunde. Grundsätzlich sah ich mich selbst irgendwo in der Mitte zwischen Becks und Valerie. Das war immer schon so. Becks hatte bereits stolze vierzehn Praktika absolviert, Valerie bloß zwei und ich neun – das jetzige nicht mitgerechnet. Valerie hat ihr Abitur mit eins Komma eins gemacht, Becks mit einer glatten drei und ich mit einer schwachen zwei. Becks war fünfzehn gewesen, als sie im Ferienlager von einem Jungen aus der Parallelklasse entjungfert worden war, Valerie mit siebzehn von ihrem Klavierlehrer und ich mit sechzehn auf dem Rücksitz eines Wagens von einem Typen, den ich zwei Stunden zuvor beim Beach-Volleyball kennengelernt hatte. Der Wagen war ein feuerroter Alfa Romeo Spider gewesen, was mich damals mächtig beeindruckt hat. Der Name des Jungen war mir hingegen entfallen, was womöglich daran lag, dass ich mir den ersten Sex irgendwie berauschender vorgestellt hatte.
Auch in puncto Aussehen würde ich mich irgendwo in der Mitte zwischen der burschikosen Becks und der vollschlanken Valerie einordnen, die ihre Rundungen stets ungefragt mit einer vererbten Unterfunktion ihrer
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