Sex and the Office
Schilddrüse begründete (und in der Regel schon das dritte Mal am Büfett gewesen war, ehe ich zum Hauptgang überging). Ich war weder schön noch hässlich, sondern eher unscheinbar und einfach nichts Besonderes.
»Allmächtiger, sag bloß, du hast diese Treter immer noch!«, sagte Valerie dann so aus dem Nichts und beugte sich zum Monitor herunter.
»Charly-Schätzchen, diese Dinger gehören in den Sondermüll! Du hast mir hoch und heilig versprochen, die bei deinem Umzug zu entsorgen.«
»Und du wolltest dich bei den WeightWatchers anmelden«, konterte ich, als ich dem leicht verzerrten Skype-Bild entnahm, wie ihre Hand in einer Packung Muffins verschwand.
»Stimmt, aber erst morgen – also gönne ich mir bis dahin noch ein kleines bisschen Freiheit.« Sie lachte und biss genüsslich in einen Muffin. Valerie hatte gut reden. Während ihr binnen kürzester Zeit unfreiwillig der Sprung von der Praktikantenliga zur Festanstellung gelungen war und sie neben einer riesigen Dachgeschosswohnung auch einen ebenso durchgestylten Immobilienmaklerfreund ihr eigen nannte, hatte ich mit Mitte zwanzig noch immer keinen Schimmer, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich hatte nicht nur keinen Plan B, ich hatte überhaupt keinen Plan. Die Aussicht auf das Volontariat bei NEWS direct war für mich zwar ein Lichtblick am Ende des Tunnels, doch nach diesem verunglückten ersten Tag hatte ich ernsthafte Bedenken, wie ich das Praktikum überstehen sollte. Dabei hatte ich mir, um es in Becks’ Worten zu sagen, »den Arsch aufgerissen«, um irgendwo einen halbwegs vernünftigen Job zu bekommen. Und wozu das alles? Während ich weiterhin in Wohngemeinschaften hauste und billigen Weißwein trank, zogen alle anderen an mir vorbei. Um bloß keine Lücke in meinem Lebenslauf entstehen zu lassen, hatte ich sogar in einer fragwürdigen Videothek gejobbt, in der Plakate leicht bekleideter Frauen mit blinkenden Sternchen auf den Brüsten das Schaufenster zierten. Die Aufstiegschancen waren gleich null, doch die Bezahlung war gar nicht mal so übel gewesen. Und obwohl mir von Anfang an klar gewesen war, dass ich hier nicht alt werden würde, hatte ich mir vorgenommen, wenigstens so lange zu bleiben, bis ich etwas Passenderes gefunden hätte. Die Filme, die hier über die Ladentheke gegangen waren, waren alles andere als jugendfrei, und so hatte sich meine Kommunikation schon bald auf Sätze beschränkt wie »Sie möchten Geile Supermuschis Teil 3 und Perverse Putzfrauen ausleihen? Danke für Ihren Besuch in unserer Videothek, und viel Spaß damit«. Als ich mich nach drei Wochen Schufterei geweigert hatte, nun auch noch die Nachtschicht zu übernehmen, hatte mich mein Chef entlassen, noch bevor ich den ersten Gehaltsscheck in der Tasche hatte.
Zweitausend Kilometer weiter südlich konnte Becks, die sich in diesem Moment zu unserem Video-Chat hinzuschaltete, ebenfalls ein Lied davon singen, wie es war, den Job schneller zu wechseln als den Liebhaber.
»Hola Amigas! Sorry, aber so ein el cabrón von einem Kunden wollte um kurz vor Feierabend doch tatsächlich noch eine Weltreise buchen!«
El cabrón war der spanische Begriff für Dreckschwein und ein Ausdruck, der in Becks’ Vokabular auffallend häufig auftauchte, erst recht, wenn sie schlechte Laune hatte. Valerie hatte dagegen die Angewohnheit, jeden »Schätzchen« zu nennen. Nachdem Becks sich abgeregt hatte, weihte sie uns in ihre außerbetrieblichen Pläne ein, die Valerie und ich mit Spannung verfolgten: Während unsereins sich schon bei der Mülltrennung auf die Schulter klopfte, hatte Becks es sich zur Aufgabe gemacht, in Nacht-und-Nebel-Aktionen in spanische Versuchslabors einzubrechen. Bei ihrem nächsten Coup galt es zweitausend Karnickel zu befreien. »Und wann steigt die Aktion?«, fragte ich gespannt.
»Schon heute Nacht«, verkündete Becks, um dann wie immer hinzuzufügen: »Wir können jede Hilfe gebrauchen, also setzt euch in den nächsten Flieger und kommt vorbei!«
Valerie und ich starrten einander an. Für Valerie war es schon Abenteuer genug, ihren Pilates-Kurs zu schwänzen, und was mich anging, so konnte ich nach meinem abenteuerlichen ersten Praktikumstag getrost auf weiteren Nervenkitzel verzichten. Obwohl ich Becks vermisste und mir oft gewünscht hätte, sie wäre mit mir nach Berlin anstatt nach Madrid gegangen, war die geografische Distanz zwischen uns stets eine willkommene Rechtfertigung für meine eigene Feigheit. Doch jedes Mal, wenn Becks davon
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