Sex und Folter in der Kirche
nicht nur im Vatikan feierlich empfangen, als praktizierenden Katholiken gelobt und mit den besten Wünschen für die weitere Arbeit entlassen, sondern Pavelic auf dessen Sterbebett im spanischen Exil auch seine besonderen Segensgrüße geschickt...
Und heute? Kroatische Soldaten zerstören 1993 das moslemische Dorf Ahmici in Zentralbosnien; UNO-Truppen entdecken mehr als hundert verkohlte Leichen unter den Trümmern.19 Die Medien
zeigen schon im Frühjahr 1993 Bilder von zerstörten Moscheen, genauer: von Moscheen, die von kroatischen Katholiken zerstört wurden. Zum Jahresende berichten sie von Moscheen, die Rache-anschlägen philippinischer Katholiken zum Opfer fielen.20 Eine Gruppe mit dem Namen Neue Christlich-Demokratische Armee (!)
teilt mit, es habe sich um Vergeltungsaktionen gehandelt. Mittlerweile stehen zwanzig Moscheen unter Polizeischutz; die Regierung der Philippinen will einen förmlichen Religionskrieg zu verhindern suchen.
Offenbar weiß sie, was von radikalen Katholiken zu erwarten ist.
Hartnäckig hält sich auch der Verdacht, der Anschlag auf die
katholische Kathedrale von Davao (Mindanao) sei von der genannten Gruppe verübt worden, um die Spannungen zwischen Christen 12
und Moslems anzuheizen - und Racheakte legitimieren zu können.
Übrigens kamen bereits in den siebziger Jahren bei Gewalttätigkeiten zwischen Anhängern der beiden Religionen rund fünfzigtau-
send Menschen auf den Philippinen ums Leben.21
Es handelt sich bei den Auseinandersetzungen des Jahres 1993
wohl um die ersten Anzeichen eines oder mehrerer Religionskriege zwischen Christen und Muslimen. Hier stoßen die Jünger beider Lager aufeinander; Gotteskämpfer unterscheiden sich zwar in ihrer Religion, doch nicht in ihrer Bereitschaft zur Gewalt. Auf diesem Hintergrund wirkt es nicht besonders klug, die religiöse Komponente der Nationalismen und Kriege aus dem politischen Kalkül auszuklammern. Gegen eine solche Religion hat verantwortungs-volle Aufklärung noch immer viel zu wenige Chancen.
Auch in Israel wird dies deutlich: Geben Peres und Rabin die
besetzten Gebiete den Arabern zurück, verstehen Ultraorthodoxe dies als Sünde und bezeichnen die israelischen Politiker als Verrä-
ter. Fünfhundert Rabbiner unterschrieben eine Erklärung, die einer demokratisch gewählten Regierung das Recht entzieht, auf israelisches Land zu verzichten. Denn für diese Leute ist der jetzige Staat Israel nur eine Station auf dem Weg vom Exil in das messianische Zeitalter,und die Besetzung von Gebieten, die als heilig verstanden werden, wird als felsenfester Beweis für den Erfolg dieser Heilsidee betrachtet. Erlösung nimmt Gestalt an, und die Rückgabe von Land wird zu einer Frage der jüdischen Identität — und damit zu einem alles in allem allein theologisch zu lösenden Problem.
Höchst unklug, die Sprengkraft der gegenwärtig zu beobachten-
den Ideen religiöser Gewalt nicht ernst zu nehmen. Aus der Perspektive der einschlägigen Ideologien ist es zum Beispiel immer besser — und daher notwendig —, daß ein einzelner Mensch für das Volk sterbe, als daß das ganze Volk untergehe. Das Prinzip stellt ganz einfach und wie selbstverständlich Freibriefe für das Foltern wie für das Töten aus. Es wägt das Leben des und der einzelnen gegen das Interesse der vielen ab und rechnet in Gewichts- und Quantitätskategorien. Die Frage stellt sich von Fall zu Fall, gegen wen der inhumane Grundsatz gerichtet werden wird, wer also
tatsächlich gefoltert und getötet werden darf.
Das Evangelium legt diese Handlungsanweisung dem Hohen-
priester Kaiphas in den Mund (Jo 18,14), dem Hauptrepräsentanten einer konkurrierenden Religion. Damit ist unter Christen mit 13
der Autorität des Gotteswortes die Schuld der Juden festgeschrieben; dieses Vorgehen blieb bekanntlich nicht ohne schlimmste
geschichtliche Konsequenzen.
Auch die Gegenwart löste sich keineswegs von dem traditionel-
len christlichen Vorwurf. So behauptet 1992 ein Artikel über die
»wahre katholische Tradition der Judenverdammung«, die Lehre
von der Kollektivschuld des Judentums an der Tötung Christi sei unbedingt gesichert, das jüdische Volk wegen Gottesmord verdammt und verflucht. 1993 lehnt es eine orthodox-katholische
Redaktion ab, von Solidarisierung mit einem Volk zu sprechen, das
»als solches den Mord an unserem Herrn Jesus Christus zu verantworten hat«. Auf jeden Fall brauche die Kirche die Juden, »die ihr so oft mit Feindschaft begegneten«,
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