Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Für Jane und dem Andenken meines Vaters
Es ist nicht das, was sie erbauten.
Es ist das, was sie niederrissen.
Es sind nicht die Häuser.
Es sind die Räume zwischen den Häusern.
Es sind nicht die Straßen, die vorhanden sind.
Es sind die Straßen, die es nicht mehr gibt.
Es sind nicht deine Erinnerungen, die dich verfolgen.
Es ist nicht das, was du aufgeschrieben hast.
Es ist das, was du vergessen hast, was du vergessen mußt.
Was du dein Leben lang dauernd vergessen mußt.
Aus: «Ein Deutsches Requiem» von James Fenton
TEIL EINS
Berlin 1947
Wenn du in diesen Tagen ein Deutscher bist, verbringst du die Zeit, bevor du stirbst, im Fegefeuer und bezahlst mit ir dischen Qualen für alle unbestraften und unbereuten Sünden deines Landes, bis zu dem Tag, an dem Deutschland, mit Hilfe der Gebete der Alliierten - das gilt jedenfalls für drei davon -, endlich geläutert ist.
Zur Zeit leben wir in Angst. Hauptsächlich ist es Angst vor dem Iwan, der nur die beinahe umfassende Furcht vor Geschlechtskrankheiten gleichkommt, die so etwas wie eine Epidemie geworden sind, obgleich beide Beschwerden im all gemeinen für ein und dasselbe gehalten werden.
1
Es war einer dieser kalten, schönen Tage, die man am besten zu würdigen weiß, wenn man ein Feuer zum Stochern und einen Hund zum Kraulen hat. Ich hatte keines von beiden, andererseits gab es nichts zum Heizen, und aus Hunden habe ich mir nie viel gemacht. Doch dank der Steppdecke, die ich mir um die Beine gewickelt hatte, war mir warm, und ich hatte gerade angefangen, mich zu beglückwünschen, daß ich in der Lage war, meine Arbeit zu Hause zu erledigen - das Wohnzimmer diente mir als Büro -, als jemand an das klopfte, was man für die Eingangstür halten konnte.
Ich fluchte und erhob mich von meiner Couch.
«Kann 'ne Weile dauern», rief ich durch das Holz, «also gehen Sie nicht weg.» Ich zwängte den Schlüssel ins Schloß und begann, an dem großen Messinggriff zu ziehen. «Es hilft, wenn Sie von außen drücken», rief ich abermals. Ich hörte das Schurren von Schuhen auf dem Treppenabsatz, und dann spürte ich von der anderen Seite der Tür einen Druck. Schließlich öffnete sie sich zitternd.
Ich sah einen großen, etwa sechzigjährigen Mann vor mir.
Mit seinen hohen Wangenknochen, der dünnen kurzen Nase, dem altmodischen Backenbart und dem ärgerlichen Gesichtsausdruck erinnerte er mich an einen bösen Pavian.
«Ich glaube, ich habe mir was gezerrt», knurrte er und rieb sich die Schulter.
«Das tut mir leid», sagte ich und trat beiseite, um ihn ein zulassen. «Das Gebäude ist ein ziemliches Stück abgesackt. Die Türen müßten neu eingehängt werden, aber man kriegt
natürlich das Werkzeug nicht.» Ich führte ihn ins Wohnzim mer. «Trotzdem, wir sind hier nicht allzu schlimm dran. Wir haben ein paar neue Fensterscheiben, und das Dach scheint den Regen abzuhalten. Nehmen Sie Platz.» Ich deutete auf den einzigen Lehnsessel und nahm meine Stellung auf der Couch wieder ein. Der Mann stellte seine Aktentasche hin, nahm seine Melone ab und setzte sich mit einem Seufzer der Ermat tung. Er knöpfte seinen grauen Mantel nicht auf, und ich konnte es ihm nicht verdenken. «Ich sah Ihre kleine Anzeige an einer Mauer auf dem Kurfürstendamm», erklärte er.
«Was Sie nicht sagen», erwiderte ich und erinnerte mich undeutlich an die Worte, die ich vergangene Woche auf ein kleines viereckiges Stück Karton geschrieben hatte. Kirstens Idee. Angesichts all der Anzeigen, die an den Mauern der baufälligen Gebäude Berlins Lebensgefährten und Heirats märkte anpriesen, hatte ich nicht vermutet, jemand würde sich die Mühe machen, meine Nachricht zu lesen. Aber am Ende hatte sie recht behalten.
«Mein Name ist Nowak», sagte er. «Dr. Nowak. Ich bin Ingenieur. Ich bin Verfahrenstechniker, Metallurge in einer Fabrik in Wernigerode. Meine Arbeit beschäftigt sich mit der Gewinnung und Herstellung nichteisenhaltiger Metalle.»
« Wernigerode », sagte ich. «Das ist im Harz, nicht wahr?
In der Ostzone. »
«Ich kam nach Berlin, um an der Universität eine Reihe von Vorlesungen zu halten. Heute morgen erhielt ich ein Te legramm in meinem Hotel, dem Mitropa ... »
Ich runzelte die Stirn und versuchte, mich an das Hotel zu ennnern.
«Es ist eines von diesen Bunker-Hotels », sagte Nowak.
Einen Augenblick schien er geneigt, mir davon zu erzählen, doch dann besann er sich anders. «Das Telegramm kam von meiner Frau, die mich dringend auffordert,
Weitere Kostenlose Bücher