SGK324 - Phantomjagd auf Morna U
einiger Zeit im französischen Fernsehen verfolgt. »Und jetzt wollen Sie
diese Straße kennenlernen?«
»Auch ... in erster Linie aber geht es mir
darum, eine alte Freundin wiederzusehen.«
Morna Ulbrandson ließ sich in der Rue
Richelieu absetzen, bezahlte den Fahrpreis und verabschiedete sich von dem
Taxichauffeur. Baptiste hätte die Schwedin gern bis in die Straße gefahren,
aber Morna wollte den Rest des Weges unbedingt zu Fuß gehen, um die Atmosphäre
dieses Viertels zu genießen.
Die Häuser waren hoch und schmal, meistens
vier bis fünf Etagen. Durch die Enge der Gassen wirkten die verwitterten
Fassaden noch düsterer. Obwohl um diese Jahreszeit jeder Sonnenstrahl eine
Wohltat war, bemerkte die Spaziergängerin viele Fenster, an denen die
Klappläden geschlossen waren. Die Fensterläden waren in beklagenswertem Zustand
und von undefinierbarer Farbe.
Auf den schmutzigen Straßen häuften sich
Unrat und Papier. Sammelpunkt war die Gosse. Ein streunender Hund lief Morna
nach. Er war dürr und schien aufs Fressen zu warten.
Die Schwedin lief schneller.
Die Sonne stand bereits tief, der Himmel war
messinggelb, und das Blau schwächte sich mehr und mehr ab.
Die Geschäfte waren unattraktiv. Die
PSA-Agentin blieb kein einziges Mal stehen.
Sie seufzte und mußte an ihre Freundin
denken. Daß Josephine Tofflaine in diesem Viertel wohnte, wollte ihr einfach
nicht in den Kopf.
Die schöne, sensible Josephine. Damals Mannequin
wie sie. Auf einer Tournee lernte sie einen Maler kennen, einen jungen Mann mit
Ideen und ungeheuerer Ausdauer.
Josephine verliebte sich Hals über Kopf in
ihn. Sie gab ihre Karriere auf, um an seiner Seite zu sein. Dabei wußte sie von
Anfang an, daß kein angenehmes Leben sie erwartete.
Morna bewunderte damals den Mut der Kollegin.
Josephine hatte ein gutes Herz, und es war
ihr gleich, ob sie in Armut lebte. Sie wollte nur bei ihm sein. Seine Bilder
und er faszinierten sie.
Nach einer großen Abschiedsfeier, die sie
ihren Kolleginnen gab, tauchte sie unter. Hin und wieder traf eine Karte von
ihr ein. Es gehe ihr gut, sie befänden sich viel auf Reisen. Die Bilder ihres
Mannes Pierre Tofflaine wären gefragt. Es gehe aufwärts. Anhand der Karten, die
von Zeit zu Zeit eintrafen, war zu erkennen, daß die Tofflaines sich oft auf
Reisen befanden. Samoa, Bali, Neuseeland, Hongkong, Griechenland .. Pierre
Tofflaine war als Maler romantischer Landschaftsbilder bekannt. Er holte sich
seine Eindrücke überall in der Welt. Für exotische Länder schien er dabei eine
besondere Schwäche zu haben.
Dann kamen keine Kartengrüße mehr.
Über Umwege erfuhr Morna eines Tages, daß
Josephine sich wieder in Paris aufhielt. Die Schwedin nahm sich vor, bei
nächster Gelegenheit Josephine überraschend aufzusuchen. Seit drei Jahren
spielte sie mit diesem Gedanken. Und nun ließ sich diese Absicht endlich
verwirklichen.
Der Bezirk rund um die Rue Morgue war ein
Elendsviertel. Viele Häuser standen leer und zum Verkauf.
Vielleicht ging es Josephine gar nicht so
schlecht, kam es ihr plötzlich in den Sinn. Es konnte genauso gut sein, daß
sich das Paar in diesem Viertel ein Haus gekauft und so eingerichtet hatte, wie
es ihnen in einer normalen Wohnung nie geglückt wäre. Künstler hatten oft einen
eigenwilligen Geschmack. Hier konnten sie ihrer Art entsprechend noch agieren.
Als ihr dies durch den Kopf ging, fühlte sie
sich gleich etwas wohler. X-GIRL-C hielt unwillkürlich Ausschau nach einem
besonders farbigen oder sonst irgendwie auffällig gestalteten Haus, das sich
von den übrigen schmutzigen Fassaden abhob.
Aber die Schwedin entdeckte keines. Sie
richtete sich nach der Hausnummer.
Und als sie schließlich vor dem besagten
Gebäude stand, begann sie zu frieren.
Das war ein Haus, gebaut um die
Jahrhundertwende. Seitdem war sicher kein Pinselstrich mehr daran gemacht
worden.
Die Fassade sah wüst aus, der Verputz war zum
Teil abgebröckelt, darunter kam nackter Stein zum Vorschein.
Die Fensterläden in der Parterrewohnung waren
geschlossen. Neben dem Torbogeneingang gab es ein winziges quadratisches
Fenster, in dem früher der Portier des fünfstöckigen Mietshauses saß und die
Leute einließ. Das Fenster war eingeschlagen, ein paar Scherben hingen noch im
Rahmen.
Spinngewebe füllte die Zwischenräume.
Morna war verwirrt.
Sie warf nochmal einen Blick in das kleine
ledergebundene Notizbuch, in das sie die Adresse eingetragen hatte. Haus und
Nummer stimmten ...
Die Schwedin lenkte
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