SGK324 - Phantomjagd auf Morna U
Herbst, reichte ihre Kraft aus, die Tagestemperaturen noch in die Höhe zu
bringen.
Gegen Abend wurde es schon empfindlich kühl,
und an der Jacke, die die schöne Unbekannte über dem Arm hängen hatte, ließ
sich unschwer ablesen, daß die Frau offenbar die Absicht hatte, länger
unterwegs zu sein.
Sie trug lange, enganliegende Hosen, dazu
einen salopp fallenden Pullover in einem sanften Grünton.
Baptiste, der Taxifahrer konnte seinen Blick
nicht von den langen Beinen wenden. Die Frau bewegte sich mit der Eleganz eines
Mannequins.
Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie eins
wäre.
Sie steuerte direkt auf ihn zu.
»Fortune, Fortune ...«, flüsterte Baptiste. als
er erkannte, daß er das Glück hatte, die Schöne zu fahren.
Er wickelte schnell sein Butterbrot wieder
ein, seine Miene hellte sich auf, und er stieg aus, um dem unerwarteten
Fahrgast die Tür zu öffnen.
»Wo darf ich Sie hinbringen, Mademoiselle?«
fragte er freundlich, als die charmante Blondine neben ihm Platz genommen
hatte. »Sie wollen Paris sehen, Sie sind fremd hier... Wenn Sie wollen, stehe
ich Ihnen den ganzen Abend zur Verfügung. Und noch darüber hinaus. Paris bei
Nacht - Sie müssen es kennenlernen! Paris ist eine wunderschöne Stadt, voila
...«
»Ich weiß«. Morna Ulbrandson lachte.
»Schließlich bin ich schon seit vier Tagen hier.«
Baptiste verdrehte die Augen. Er schob seine
schräg und halb in der Stirn
sitzende Baskenmütze noch ein wenig mehr über
das Ohr. »Oh, Mademoiselle! Vier Tage, sagen Sie? Was sind vier Tage für Paris?
Da haben Sie vielleicht gerade die Korridore und die Empfangshalle Ihres Hotels
kennengelernt, aber auf keinen Fall die Stadt. Paris kann man in vier Tagen
nicht kennenlernen, oh no, Mademoiselle ...«
»Was will man machen, Monsieur, wenn die Zeit
begrenzt ist? Heute ist der letzte Tag. .. und jetzt möchte ich zum Abschluß
noch eine alte Freundin besuchen.«
»Dann waren Sie schon öfter in Paris?«
»Ja, einige Male. Immer jedoch sehr kurz.«
»Nun, auch bei kurzen Abstechern kann man
eine Stadt kennenlernen.«
Baptiste ertappte sich dabei, daß er ins
Plappern geriet. Das war ihm auch noch nicht passiert. Daran schuld war nur
diese Frau. Sie brachte ihn aus der Fassung. Am liebsten hätte er die ganze
Zeit mit ihr gesprochen. Nicht nur über die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Da
hatte er noch einiges andere im Sinn. Aber schließlich konnte man nicht gleich
mit der Tür ins Haus fallen.
»Was also darf ich Ihnen zeigen?« fragte er
deshalb diensteifrig, während er den Wagen startete und die Taxiuhr anstellte.
Normalerweise tat er es immer umgekehrt. »Den Arc de Triomphe? Das Palais
Royal? Eiffel-Turm? die Champs Elyssees?«
»Ich möchte gern in die Rue Morgue.«
»Bitte sehr, ich ...« Da erst schien er zu
begreifen, was sie gesagt hatte. Er schüttelte sich, als hätte jemand eiskaltes
Wasser über ihn geschüttelt. »Sagten Sie Rue Morgue, Mademoiselle?« fragte er
vorsichtig, weil er fürchtete, sich verhört zu haben.
»Oui, Monsieur.«
»Ein Irrtum ist ausgeschlossen?«
»Oui.«
Baptiste fuhr los. »In der Rue Morgue gibt’s
nicht viel zu sehen«, fuhr er nach einer Weile erst wieder zu sprechen fort,
als er sich in den fließenden Verkehr eingeordnet hatte. »Da stehen
wetterverwüstete alte Häuser. Die Gassen sind eng und schmutzig.«
Er hoffte offenbar noch immer, daß er
aufgrund dieser Beschreibung seine hübsche Kundin umstimmen könnte. »Vielleicht
wollen Sie gar nicht dorthin, Mademoiselle. Haben Sie sich möglicherweise
verhört, ein Straßenname, der ähnlich klingt in der französischen Sprache ...«
»Ich kann mich recht gut verständigen.«
»Pardon,
Mademoiselle! Rue Morgue also.«
Es stimmte. Morna sprach ausgezeichnet
französisch. Ohne Akzent. Es war schwer zu sagen, aus welchem Land sie kam. Sie
hätte sogar Pariserin sein können, ging es Baptiste durch den Kopf.
»Fahren Sie nie einen Touristen in die Rue
Morgue?« fragte X-GIRL-C unvermittelt.
»Selten. Ich sitze seit fünfundzwanzig Jahren
am Steuer eines Taxis. Touristen wollen eigentlich nie dahin.«
»Dabei ist es eine besonders interessante und
auch berühmte Straße, nicht wahr? «
»Berühmt?« echote Baptiste.
»Schon Edgar Allan Poe beschreibt sie. In
seiner unheimlichen Geschichte, in der ein Orang-Utan im Mittelpunkt der
Handlung steht.«
Baptiste nickte. »Richtig.« Er war nicht sehr
belesen, aber diese Geschichte kannte er. Außerdem hatte er das Thema als Film
vor
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