Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
Lieblingsbücher aus der Bibliothek von Black House gebracht.
»Das freut mich.«
Der Arzt sah sie für einen langen, stummen Augenblick an. Elena widerstand dem Drang, die Hände zu ringen oder ihre Schürze zurechtzuzupfen.
»Was Ihre Bewerbung betrifft …«
»Ja, Sir.«
»Der Weg, den Sie einschlagen wollen, ist voller Schwierigkeiten, und bedauerlicherweise kollidiert Ihr Bestreben mit vielen Vorurteilen gegen Ihr Geschlecht.«
Sie versuchte, unbefangen zu lächeln. »Ich habe gründlich über meine Entscheidung nachgedacht, noch bevor meine Zeit hier im Krankenhaus begonnen hatte.«
»Das weiß ich.« Er nickte, nahm seine Brille ab und schob sie in die Tasche seines Kittels. »Aber was ist mit einer Ehe? Mit Kindern? Wie Sie wissen, hat Lord Black Anweisungen hinterlassen, Sie mit einer großzügigen Mitgift auszustatten, falls Sie sich zu verheiraten wünschen.«
Ihre Lippen zuckten. »Ja, Lord Black ist sehr freigiebig.«
In der Tat, ihr mysteriöser Gönner – ein Mann, den jemals kennengelernt zu haben sie sich nicht erinnern konnte – hatte ihr seine Residenz in Mayfair überlassen, ein opulentes, teures Herrenhaus, das der Königin selbst würdig gewesen wäre. Sie hatte außerdem ein irrwitzig großzügiges Taschengeld zur Verfügung, und die feine Gesellschaft stand ihr offen.
Warum war es so schwierig zu verstehen, dass sie mehr brauchte? Sie brauchte eine Identität. Ein Ziel. Irgendwie schien dies hier richtig zu sein – jedenfalls für die Person, die sie zuvor gewesen sein musste.
Elena blickte auf ihre Schürze hinab, auf einen Fleck, der aussah wie der Handabdruck eines Kindes. Mit den Fingerspitzen strich sie über das kostbare Fleckchen Schmutz.
»Nichtsdestotrotz, Dr. Harcourt, gehen meine Interessen über ein trautes Heim hinaus.«
»Und Sie wünschen, dass ich Ihnen ein Empfehlungsschreiben ausstelle?«
»Nur wenn Sie glauben, dass ich eine tüchtige Ärztin abgeben würde.«
Langsam verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln. »Was das betrifft, habe ich absolut keine Zweifel.«
»Vielen Dank, Herr Doktor.« Elena atmete aus, benommen und geschmeichelt von der besonderen Wärme seiner Worte.
»Ich werde den Brief schreiben …«
»Ich werde Ihnen ewig dankbar sein.«
»… unter einer Bedingung.«
»Ja, Sir. Alles. Ich werde Bettpfannen schrubben oder …«
»Keine Bettpfannen, Elena.«
Elena errötete, als sie ihren Taufnamen aus seinem Mund hörte. Diese vertrauliche Anrede hatte er noch nie benutzt.
»Heute Abend ist die Geburtstagsfeier meiner Mutter.«
Ihr wurde flau im Magen. »Ich habe eine Einladung erhalten. Bedauerlicherweise …«
»Ich weiß, es ist schwierig für Sie, sich der Gesellschaft zu stellen und die unausweichlichen Fragen nach ihrer Vergangenheit zu ertragen.«
Das war eine blanke Untertreibung.
»Es ist nicht nur das, Dr. Harcourt. Ich arbeite jetzt unter Ihrer Aufsicht.«
»Und daher wäre Ihre Teilnahme unpassend? Unsinn. Wir sind Nachbarn, und Lady Kerrigan bewundert Sie. Sie war recht enttäuscht, als sie Ihre Absage erhielt.«
Dr. Harcourts Mutter hatte während Elenas Genesung mehrfach Black House besucht. Wahrscheinlich war die Gräfin einfach neugierig darauf gewesen, einen Blick auf das scheue, amnesiekranke Mündel Lord Blacks zu werfen. Aber abgesehen von der unverhohlenen Aufdringlichkeit der Dame waren sie erstaunlich gut miteinander ausgekommen.
Harcourt schob seinen Hocker zurück und stand auf.
»Da sich das Parlament vertagt hat, sind fast alle, die sonst zu ihrer Geburtstagsfeier kommen, aufs Land gefahren. Daher sollte es eine ziemlich kleine Runde werden.«
Wie konnte sie seine Bitte ablehnen? Er hatte bereits so viel für sie getan, und jetzt, da sich der angesehene Arzt bereitgefunden hatte, ihr ein Empfehlungsschreiben auszustellen, war sie sich sicher, dass die London School of Medicine for Women sie annehmen würde.
»Sie haben mich überzeugt«, kapitulierte Elena und lächelte trotz ihres Grauens vor dem bevorstehenden Abend. »Bitte richten Sie Lady Kerrigan aus, dass ich mit Freuden an Ihrer Feier teilnehmen werde.«
»Wunderbar.« Seine Stimme wurde weicher vor Freude. »Dann müssen Sie sich sofort auf den Weg nach Black House machen, denn im Wohnheim werden Sie ja kaum ein angemessenes Kleid haben. Und Sie brauchen etwas Ruhe – das ist eine ärztliche Anordnung. Sie sind ja seit Morgengrauen auf den Beinen. Lady Kerrigan wäre überaus gekränkt, wenn Sie zu Ihrer Feier kämen, nur um auf
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