Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
Vom Netzwerk:
nach Adrians Hand und sagte ohne jede ironische Absicht – ich hatte total vergessen, dass wir im Freien saßen: »Wir gehen jetzt mal an die Luft.«
    Weiß der Himmel, woher ich den Mut nahm, aber er nickte und schob seinen Stuhl zurück. Die Ziegenhirtin, deren Lockenwickler auf der Kühlerhaube lagen, hatte sich inzwischen die Kittelschürze ausgezogen. Sie trug ein tiefrotes Etuikleid mit Pailletten und frisierte sich vor dem Seitenspiegel ihres Lasters die Haare. Sogar Spray hatte sie dabei. »He, du Kameradenschwein!«, rief Ben. »Lass dir keinen Tripper andrehen. Und um zehn Uhr ist Sammeln!« Doch Adrian blickte sich nicht um.
    Hand in Hand gingen wir auf den Platz, wo nach wie vor Theater gespielt wurde, meistens unter Laternen oder in Manegen aus brennenden Teelichtern. Die Schatten der zierlichen Tänzer huschten riesig über die Fassade des Palastes, und wir kauften uns ein Eis und sahen einem Fakir zu, der sich gerade eine Schnur voller Rasierklingen aus dem Hals zog. Er lag fast nackt auf einem Scherbenhaufen und winkte uns heran; wir sollten uns auf ihn stellen, auf Brust und Bauch. Die Schuhe könnten wir anbehalten, fügte er augenzwinkernd hinzu, doch wir schlenderten weiter.
    Adrian pfiff tonlos vor sich hin. Die Parkanlage hinter dem Palast war geöffnet, in der Dunkelheit roch es stark nach Jasmin, und wir fanden eine Bank mit Blick auf den Fluss. Der schmale Mond schien hell, die Sträucher und Bäume warfen Schatten, und in den Fackelbooten, die langsam auf dem Wasser trieben, lagen Liebespaare und blickten in den Himmel. So viele Sterne hatte ich selten gesehen bis dahin, die Schnuppen flogen nur so, und ich schmiegte mich enger an Adrian und roch an seinem Hals. Doch der Blütenduft war stärker.
    »Und wie ging die Geschichte weiter?«, fragte er. Die Stimme war wie etwas Rieselndes unter dem Laub, und ich wusste zuerst nicht, was er meinte. Ich hatte an meinen Rucksack gedacht, an die Kondome im Seitenfach, und wie lange die eigentlich haltbar sind, und als ich den Kopf hob, lächelte er mich an. »Die mit dem Colt aus dem Spielzeugladen. Du warst doch noch nicht fertig, oder?«
    Da schloss ich einen Herzschlag lang die Augen. Einfühlsamkeit und echtes Verständnis hauen mich immer um, wie Geburtstagstorten. »Oh«, sagte ich und wurde wohl rot, doch das sah er ja nicht. »Ich hatte als Kind oft Gummifinger, besonders morgens. Da war das Zubinden der Schuhe schon ein Akt. Auch Marmeladengläser und neue Tuben kriegte ich nie auf. Doch dann fand ich eine Lösung.«
    Ich hob die Arme. »Wenn ich die Revolvermündung auf meine Brust richtete, konnte ich den Perlmuttknauf mit den Händen umfassen und beide Daumen, die viel kräftiger waren, auf den Abzug drücken – fast genauso schnell, wie mein Vater es getan hatte. Die Schüsse hallten wider in unserem Flur und der Streifen mit den verkohlten Zündplättchen wurde länger und länger, was mich mächtig stolz machte. Aber als ich dabei in den Wandspiegel blickte, kamen mir plötzlich die Tränen. Albern sah das aus, absolut blöd.«
    Er strich mir über die Wange. »Als würdest du dich selbst erschießen«, murmelte er, und ich glaube, jetzt war ich endgültig verliebt. Es fühlte sich an wie feinste Seide, nach der man im Schrankdunkeln greift, und man weiß kaum, ist das noch Stoff oder schon eine Flüssigkeit. Jetzt hätte er alles von mir haben können.
    Aber es passierte nichts. Er legte mir zwar einen Arm um die Schultern, kam auch einmal wie versehentlich an meine Brust, doch irgend etwas schien ihn zu hemmen. Ich dachte an Dinah und ihr Gequatsche. Vielleicht hatte sie ihn ja eingeschüchtert, und er glaubte, nun wer weiß was bringen zu müssen, den ultimativen Traumfick mit Dauerständer bis zum Wecken. Dabei hätte ich ein bisschen Knutschen schon prima gefunden.
    Doch er blieb scheu. Vorsichtig betastete er die Hornhaut auf meinen Fingerkuppen, die Eindrücke der Gitarrensaiten, und sagte: »Also, ich weiß zwar nicht, was du dir jetzt vorstellst ...« Da nahm ich ihm die Zigarette weg, schnippte sie ins Dunkle und legte seine Hand dorthin, wo ich sie haben wollte. Und schließlich hatten wir es noch richtig gut.
    Später brachte ich ihn zum Bahnhof, wo schon jede Menge Rekruten warteten, auch französische, und dauernd Pfiffe ausstießen. Ich trug ein ziemlich kurzes Kleid. Wir tranken noch ein Glas Bier, tauschten Adressen und Telefonnummern aus, und ich wartete auf der Plattform, bis der Zug losfuhr, ein Express nach

Weitere Kostenlose Bücher