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Shakespeares Hühner

Shakespeares Hühner

Titel: Shakespeares Hühner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Rothmann
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klirrte furchtbar laut. »Schon möglich«, sagte sie, wobei sie den Mund, die plötzlich schmalen Lippen, nur wenig bewegte. Blass war sie, um nicht zu sagen bleich, doch ihre Augen blieben völlig trocken. Das Cabrio stand vor dem Schaufenster. Der Mistral wehte in den Raum.
    »So warte doch!«, rief ich, und das schmerzte in der Kehle. »General! Ich bitt Euch dringend, gönnt mir noch ein Wort! Wir bleiben Freunde, nicht wahr?«
    Den Türgriff in der Hand, blickte sie zu Boden und schüttelte kaum merklich den Kopf, als wäre sie irgendwie amüsiert darüber, wie sentimental ich war. Aber schließlich warf sie die Locken zurück und schenkte mir ihr schönstes Lächeln, und es lag wohl an dem Licht dieser Gegend, dem herrlichen Himmel, oder vielleicht auch an dem Schatten des silbernen Tellers, dass es mir so strahlend vorkam wie in der Zeit, als sie sich mit Kohle schwärzte. Ein Windstoß klappte ihren Kragen um. »Ich scheiß auf deine Freundschaft«, sagte sie leise und ging hinaus.

Traber-Sonate
    » N aivität ist wie Knoblauch«, hatte meine Großmutter immer gesagt. »Man wird alt damit.« Aber ich habe Knoblauch noch nie gemocht. Ich bezahlte meinen Tee und zog den Mantel an. Nur die Leuchtreklame des Wettbüros erhellte den Vorplatz, auf dem ein paar Zuschauer längs der leeren Tribüne standen oder sich an der Holzglut einer Gulaschkanone wärmten. Der Bierstand war mit Planen verhängt, und Wind fuhr in den Abfallkorb und ließ die Plastiktüte darin knattern.
    Unter dem fahlen Licht weit auseinander stehender, von Regenschleiern umwehter Bogenlampen erstreckte sich die Südkurve, deren Neigungswinkel derart war, dass die Wagenlenker eine Steigung nehmen mussten, um von den dahinter verborgenen Stallungen auf die Rennbahn zu kommen: Ich hörte zuerst die Hufe auf dem Schotter und das Knarren der Deichselriemen und sah die Atemwolke, die ihm aus den Nüstern wehte, ehe das Pferd vor mir auftauchte, sein dunkler Kopf mit der schmalen Blesse.
    Man hatte es schon irgendwo trainiert, die bandagierten Fesseln waren schlammbespritzt, das kastanienfarbene Fell glänzte vor Schweiß. Und während es zu stutzen schien angesichts der jähen Weite und dampfend auf der Stelle tänzelte an dem hohen Außenrand der Bahn, so dass alles, was Metall war an dem komplizierten Zaumzeug, leise klirrte, fasste es mich kurz einmal ins Auge.
    Als gäbe es keine Barriere zwischen uns, trat ich einen Schritt zurück, und der Sulky-Fahrer grinste. Das Helmvisier noch aufgeklappt, ließ er die Beine von den Deichseln baumeln und schnalzte streng, woraufhin das Pferd die Schräge hinablief. Nervös kaute es auf seiner Trense, schüttelte die Mähne und wartete offenbar nur darauf, dass der Mann die Stiefel in die Holmbügel stemmte und die Zügel lockerte – um dann, als würde es nicht von der Kraft seines Herzens und dem Spiel der durchtrainierten Muskeln und Sehnen, sondern von einem lange angestauten inneren Jubel bewegt, in einen schnurgeraden, mit jedem Hufschlag schneller werdenden Trab zu verfallen.
    Vor der Tribüne wurde Musik laut, klassische, was mich doch erstaunte. Es war ein bekanntes Klavierstück, Bach oder Mozart, und nach und nach bogen weitere Gespanne auf die Bahn, schlanke Tiere vor Sulkys, die schon bei kleinsten Bodenwellen ins Federn gerieten. Manche Fahrer rollten sich die Pulloverkragen bis unter die Schutzbrillen, andere plauderten miteinander, und während sie ihre Sitze einstellten oder die Leinen entwirrten, schienen die Pferde sich ohne ihr Zutun hinter dem langsam fahrenden Startauto zu formieren, einem Jeep mit verbeulten Aluminiumschranken links und rechts.
    In der versteppten Mitte des Bahn-Ovals tollten Feldhasen herum, und ich ging auf dem Schotterweg zwischen den Paddocks zum Stall hinunter. Der war ein langes, von Silos und Baracken umgebenes Ziegelgebäude, aus dessen Oberlichtband ein warmer Schein in die Dunkelheit fiel. Mehrere Pferdetransporter und ihre Zugmaschinen, meistens Pick-ups, standen kreuz und quer auf dem Vorplatz, und ein einzelner Traber, locker an eine Laterne gebunden, döste unter einer Decke vor sich hin. Es roch nach Heu aus den Toren, nach Ammoniak und verschmortem Horn, und in einem menschenleeren Vorraum, in dem ein Amboss stand und ein Feuer in einer Esse gloste, lief ein Fernseher, das Sonntagsspiel der ersten Liga.
    Niemand sprach mich an oder hielt mich auf, als ich durch ein Spalier aus steil aufragenden Sulky-Deichseln in den Stall trat, der mir im Innern, im

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