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Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition)

Titel: Lichtjahre entfernt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Merkel
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Teil Eins
    1
    Die Hitze ist so stark, lastet so schwer auf einem, dass man sie immerfort beiseiteschieben und wegdrängen will. Ich lasse das Wasser im Bad laufen, während ich im Wohnzimmer vor der orangenen Couch stehe, auf der Judith vor fünf Tagen geschlafen hat. Die Hitze schiebt sich wie ein großes mehrdimensionales Gebilde in die Wohnung, als drängte der gesamte Atem der Stadt, die Ausdünstungen von ganz Brooklyn in das Zimmer hinein. Ich schaue auf die Couch. Das leuchtende Orange ist eine eigentümliche Radikalisierung, eine fast comichafte Wiederholung ihrer Haut. Die Couch, plötzlich erhellt, unwirklich geworden, überbelichtet, wie ausgebleicht. Sie hat nicht einmal ein Laken benutzt, es sich aber gefallen lassen, dass der Ventilator nur auf der untersten Stufe läuft. Ich habe noch eine Stunde, höchstens anderthalb. Immer wieder halte ich inne. Gehe die Stationen im Einzelnen durch. Das heißeste New York seit Jahren. Schon am Sonntag auf dem Dampfer auf dem Hudson River, bei meinem Ausflug mit Mads Christiansen, kam mir der Verdacht, es wäre vielleicht besser gewesen, doch nach Washington zu fahren. Aber wieso soll ich nach Washington fahren, wenn sie genauso gut nach New York kommen kann und wir sogar eine Wohnung für uns ganz allein haben? Aber ich lasse mich auf einen Machtkampf mit ihr ein. Noch dazu in einer Wohnung, die keine Klimaanlage hat. Nicht im Geringsten habe ich an sie gedacht, als ich den Ventilator gekauft habe. Trotzdem würde ich alle verfügbaren Ventilatoren, die in diesem Sommer in New York zu bekommen sind, für sie kaufen. Ich hätte die Wohnung von Michael und Janette mit Ventilatoren bestückt, mit Dutzenden, mit Hunderten von ihnen. Allein in dem kleinen Billigladen an der Ecke Grand Street/Leonard Street hätte ich alle verfügbaren Ventilatoren gekauft, auch den mannshohen, der mich, wie er im Geschäft zu Demonstrationszwecken auf einem Karton aufgestellt ist, sogar leicht überragt. Die Hitze macht ihr nichts aus. Sie ist immun dagegen. Sie schwitzt noch nicht mal. Sie sagt, die Wohnung sei schön, aber sie sagt es erst, nachdem wir sie schon wieder verlassen haben. »Möchtest du wirklich nur eine Nacht bleiben?«, frage ich, als wir in dem koreanischen Restaurant in der Grand Street sind. Ich habe den großen Ventilator nicht gekauft, weil er mir zu klobig erschien. Auf höchste Stufe gestellt, erreicht auch der neue nur dann einen Kühlungseffekt, wenn man sich direkt vor ihn stellt. Er läuft ununterbrochen, nur nachts stelle ich ihn aus. Ein wie wahnsinnig rotierendes Plastikgebilde, bei dessen Anblick man immerzu fürchtet, es würde sich selbständig machen, sich in Bewegung setzen und die Wohnung, selbst auf der Suche nach Kühlung, verlassen, mit unbeholfenen ruckenden Schritten durch die Grand Street bis an die Kreuzung Grand Street/Leonard Street, um dort voller Verzweiflung vor den Schaufenstern des geschlossenen Geschäfts, aus dem es stammt, stehen zu bleiben und immerfort mit seinen Plastikrotorblättern wedelnd auf Erlösung zu warten. Das orangerote Velours der Couch. Die Schweißtropfen, die nicht verdunsten und Flecken hinterlassen. Und wie Judith sich auf einmal einfach auf die Couch legt und ich auf das Doppelbett. Ein misslungenes Wochenende, ein außer Kontrolle geratener Machtkampf. Oder einfach ein Zeichen von Erschöpfung?
    Jetzt, eine Stunde vor meinem Abflug, habe ich den Ventilator ausgeschaltet. Vielleicht weil ich mich mit der Hitze bestrafen will oder weil ich mich mit einer kindlichen Begeisterung auf die kalte Dusche freue, auf die jetzt alles zusteuert, der letzte Akt, bevor ich New York verlasse. Wir verbringen nur eine Nacht zusammen. In getrennten Betten, die so weit voneinander entfernt sind, dass wir uns noch nicht mal die Hand geben können. Vielleicht ist es nur eine Episode in einer langjährigen Beziehung, über die man später lachen kann. Ich packe das grüne Plastikkreuz ein, das ich ihr bei der Verabschiedung zu geben vergessen habe. Die dunkelbraune Papiertüte mit dem leuchtend grünen Kreuz, billiger, zerbrechlicher Designerschmuck, mit dem ich ein Lächeln auf ihr Gesicht, wie ich nicht anders sagen kann, zaubern wollte. Wir verlassen das Restaurant und laufen die Grand Street entlang. Etwas von ihrer anfänglichen Begeisterung kehrt wieder zurück, als ich ihr das Geschäft zeige, in dem ich den Ventilator gekauft habe, und den Supermarkt, in dem man sich immer so fühlt, als sei man in Südamerika. Für einen

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