Shaman Bond 03 - Der Spion, der mich jagte
schaltete sich von allein wieder an. Der Fernseher wurde wieder lebendig. Wir alle sahen unwillig hin. Grigor saß wieder in seinem Stuhl, zerhackt, aber immer noch lebendig. Die beiden blutigen Massen, die Ludmilla und Sergei gewesen waren, breiteten sich vor ihm auf dem Boden aus, wie Opfer, die man einem gnadenlosen Gott dargebracht hat. Von außerhalb des Raums, aus den umliegenden Straßen, kamen schreckliche Geräusche. Kreischen und Schreien und das Brüllen von etwas, das wilde Tiere sein könnten. Grigor drehte seinen blutigen Kopf und sah uns unmittelbar durch den Spiegel an. Er lächelte und nur wenig Menschliches und noch weniger Mitgefühl war darin. Es war das Lächeln eines Mannes, der hinter die Tore der Hölle gesehen und erkannt hatte, was man dort tat und was auf ihn wartete.
Ihr müsst sterben, sagte er. Ihr alle müsst sterben.
»Warum?«, fragte ich. »Wir haben dir nie etwas getan.«
Natürlich konnte er mich nicht hören. Grigor war tot, lange tot. Das war nur eine Aufnahme seiner letzten Botschaft an die Menschheit.
Wir sind nicht, was wir glauben, sagte er. Das waren wir nie. Ihr müsst sterben. Weil niemand jemals die Wahrheit erfahren darf.
»Welche Wahrheit?«, fragte Honey.
»Warum Albträume?«, fragte Walker. »Warum all diese Leute in der Stadt auf so eine schreckliche Weise töten?«
Weil wir das verdient haben.
Das Band hielt plötzlich an und der Bildschirm war wieder tot.
»Naja«, sagte ich und gab mir große Mühe, ruhig und beiläufig zu klingen. »Das war … besorgniserregend. Und mehr als nur ein wenig unheimlich.«
»Was hat er nur in unserer DNA gesehen?«, fragte Honey.
»Wahrscheinlich ist es besser, wenn wir das nicht wissen«, sagte ich.
»Könnte Grigor nicht noch irgendwo am Leben sein, was meinen Sie?«, fragte Walker. »Verborgen vielleicht. Vielleicht schickt er diese … Bilder.«
»Nein«, sagte ich. »Wenn hier irgendjemand in dieser verdammten Stadt noch am Leben wäre, dann wüsste ich das. Hier war seit Jahren nichts lebendig. Selbst die Tiere haben Verstand genug, nicht hierher zu kommen. Ich glaube, keiner könnte hier für lange leben; nicht nach alldem, was hier passiert ist. Das ist eine Stadt der Erinnerungen. Aufbewahrter, barbarischer Erinnerungen.«
Es wurde kälter und dunkler. Der Raum auf der anderen Seite des Spiegels war nun fast verschwunden, verschluckt von den Schatten. Die Lampen in unserem Raum wurden schwächer, als ob ihnen die Kraft entzogen wurde. Unser Atem begann, in der Luft zu dampfen, und wir schlossen unsere Mäntel wieder. Das Gefühl bevorstehenden Unheils wuchs, ganz als würde gleich etwas losbrechen. Wir vier rückten enger zusammen und dann wieder auseinander, weil wir in alle Richtungen gleichzeitig sehen wollten. Von außerhalb des Gebäudes drangen Stimmen zu uns. Stimmen … beinahe menschlich. Zuerst wie vereinzelte Individuen, dann immer mehr, bis sie schließlich zu einer Stimme der Masse, des Mobs wurden, der vor Angst und Schlachterei verrückt geworden war.
Der Klang einer ganzen Stadt, die von ihren Ängsten in den Wahnsinn getrieben und ermordet worden war.
»Was ist das?«, fragte Honey. Sie schlug die Hände vor die Ohren, vergeblich. »Was soll dieser Krach? Es ist doch keiner da, diese Stadt ist leer! Sie ist leer! Keiner ist da draußen unterwegs!«
»Die Toten bleiben nicht immer tot«, sagte Walker. Er sah verwirrt aus, als ob ihn jemand gerade geschlagen hätte.
»Nein«, sagte ich schnell. »Da ist niemand draußen. Nicht so. Es sind … die Erinnerungen an die Albträume. Als die Leute hier gestorben sind, als die Stadt starb, als alle Männer und Frauen und Kinder, gefangen an diesem Ort, ihren Albträumen zum Opfer fielen. Dieser Ausfluss der Emotion und des Traumas, das mit Grigor angefangen hat. Alles, was sie erfahren haben, wurde psychisch in Stein, Ziegel und den Beton von X25 geprägt. Der ganze Ort ist eine einzige gigantische Aufzeichnung aus Stein. Und als wir die Stadt betraten, haben wir sie wieder gestartet.«
»Also ist sie nicht real?«, fragte Peter.
»Real genug«, erwiderte ich. »Real genug, um uns zu töten, wenn wir das zulassen.«
»Aber wo kommt die Energie her, um diese Art der Manifestation immer wieder neu anzufeuern?«, fragte Walker. »Was treibt das Playback immer wieder an?«
»Wir«, sagte ich. »Was auch immer hier passiert ist, es passiert immer noch und wird immer passieren. Grigor hat damit angefangen, als er sich der Kraft des kollektiven
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