Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Shana, das Wolfsmädchen

Shana, das Wolfsmädchen

Titel: Shana, das Wolfsmädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
erst, als mir eine Träne auf die Hand fiel. Ich fuhr mit dem Handrücken über mein nasses Gesicht. Alec sah betroffen aus.
    »Tut mir Leid, ich wollte dich nicht kränken!«
    Ich wollte etwas erwidern, als Alec heftig meine Hand drückte … »Da – was ist das?«
    Aus der Ferne erscholl ein merkwürdiger Laut, eine Art lang gezogenes Schluchzen, einsam und wild. Das Heulen sank und stieg, sank tiefer,stieg höher. Es klang geisterhaft und traurig wie der Nordwind, wenn er durch Bergschluchten und vereiste Wälder streift.
    »Könnte ein Hund sein«, meinte Alec. »Hat sich verlaufen, scheint mir …«
    Doch ich hatte feinere Ohren.
    »Nein, so heult kein Hund. Das ist ein anderes Tier. Ein Wolf, vielleicht …«
    »Ein Wolf?«, sagte Alec. »Die wagen sich nicht in die Nähe der Dörfer.«
    Das seltsame Klagen brach ab; wir lauschten mit angehaltenem Atem. Doch alles blieb still, als ob wir das Geräusch nur erfunden hatten.
    »War doch ein Hund«, sagte Alec.
    Er küsste mich und ich küsste ihn wieder. Es war schon fast Morgen, der Himmel war dunkel mit einem bleichen Mond, tief hinter den Bäumen. Alec fasste mich an der Hand.
    »Komm, ich bringe dich nach Hause. Sonst kannst du morgen nicht tanzen.«
    Ich hielt mich an seiner Schulter fest. Mein ganzer Körper schmerzte, besonders die Beine und der Bauch. Auch meine Augen waren trocken und brannten. Ich war so müde, dass ich kaum den Kopf hoch halten konnte.
    »Fall nicht!«, warnte er und führte mich durch die Dunkelheit.
    Überall zirpten jetzt Grillen. Das Zirpen verstummte, wenn wir vorübergingen, und begann wieder, sobald wir vorbei waren.
    »Morgen tanzt du mit mir, ja?«, sagte Alec. »Womöglich gewinnen wir einen Preis!«
    Ich machte ein zustimmendes Zeichen. Der Gedanke, mit Alec zu tanzen, gefiel mir. Melanie war tot, daran konnte ich nichts ändern. Aber ich konnte ihr Kleid tragen und für sie tanzen. Vielleicht machte ich ihr wirklich eine Freude damit.

4. KAPITEL
    Es wurde schon hell, als Alec mich vor dem Gartentor ablud. Ich nahm den Helm ab und gab ihn Alec zurück. Wir hielten uns noch eine Weile umschlungen. Alec drückte sein Gesicht an meines.
    »War schön mit dir. Bis nachher, also? Ich freue mich.«
    »Ich freue mich auch«, sagte ich.
    Ein leichter Wind kam auf. Bald würden die Wolken rot werden und die Mücken im Morgenlicht tanzen. Wir küssten uns ein letztes Mal. Dann stand ich da und sah zu, wie Alec den Starter betätigte und den Anlasser kickte. Das Motorrad setzte sich knatternd in Bewegung. Ich dachte, der Lärm scheucht die ganze Nachbarschaft auf, aber wenn Powwow war, hatten die Leute Verständnis. Alec fuhr an der Tankstelle vorbei, der Scheinwerfer hüpfte über den Asphalt und war einige Sekunden später verschwunden. Ich ging auf das verrostete Gartentor zu und schob mit steifen Fingern den Riegel zurück. Das Tor sprang quietschend auf. Ich stapfte die Treppenstufen hinauf, stolperte und fiel der Länge nach auf die morsche Veranda. Es gab einen dumpfen Knall. Ich rappelte mich auf, rieb mir das schmerzende Knie. Scheiße!, dachte ich. Jetzt meinen die Leute, ich wäre betrunken nach Hause gekommen. Ich schloss die Tür auf, hinkte durch die Diele. Im Haus war es still, nicht einmal die Wanduhr, die auf halb elf zeigte, obwohl es längst vier Uhr sein musste, tickte. Die Tür des Zimmers, wo Elliot schlief, war nur angelehnt. Ich stieß sie leise auf. Der Raum war stickig heiß. Trotz der Dunkelheit konnte ich sehen, dass das ungemachte Bett leer war. Ich fühlte eine tiefe, todesähnliche Traurigkeit in mir aufsteigen, eine Traurigkeit, für die ich keine Erklärung wusste. Ich schleppte mich die Treppe hinauf, zog das verschwitzte Zeug aus, duschte mich lange. Mein Knie war geschwollen und blau; ich bewegte es vorsichtig. Nicht schlimm. Ich schlurfte in mein Zimmer, warf mich im Pyjama aufs Bett. Ich wollte schlafen, aber ich brachte die Augen nicht zu. Das ganze Zimmer schien sich wie ein Karussell zu drehen. Draußen zwitscherten Vögel. Der Spalt Licht aus der Ritze zwischen Mauer und Fensterladen wurde immer heller. Ich dachte an das Kleid meiner Mutter und auf einmal hatte ich das Bedürfnis, es anzuprobieren, zu sehen, ob es mir passte, egal, wie müde und benommen ich jetzt war. Ich setzte mich hoch, stellte vorsichtig die Füße auf den Boden und ging in den kleinen Raum, wo wir die Sachen meiner Mutter aufhoben. Weder Elliot noch ich hatten jemals den Mut gefunden, die Dinge auszurangieren. Das Kleid

Weitere Kostenlose Bücher