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Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Titel: Shane - Das erste Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia von Rein-Hrubesch
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neuen Dimension des Hasses unter den Jugendlichen.“
    Die Mutter blickte wieder den Vater an. Sie schauten beide auf Shane.
     
    „Nicht nach unten blicken!“
    Shane machte winzige Schritte, hatte die Arme zur Seite ausgestreckt, atmete hektisch.
    „Atme ruhig!“, sagte Rotbein. Er stand neben ihr, machte aber keine Anstalten, sie zu halten. Nur ab und an machte er ein paar große lange Schritte.
    Shane merkte, wie sie nach hinten zu kippen drohte. Nein! Verdammt! Sie lag in den Sägespänen und sah dem Ball nach, der wie ein riesiger Flummi behebe davonsprang. Shane kniff die Augen zusammen. Dieser verdammte Ball! Sie starrte auf die Kugel, die nun zur Ruhe gekommen war und nur noch langsam hin und her rollte. Shane blickte sie wütend an, ihre Hände ballten sich. Weißer Rauch kam aus ihrem Mund. „Mist!“, schrie sie.
    Eine Welle schlug durch die Manege, kam auf den Ball zu, der für einen Augenblick zu vibrieren schien, dann schleuderte er durch die Manege, über die Köpfe der Kinder, die sich ungläubig duckten; das Zirkusdach spannte sich und flatterte dann wie im Wind, eine Welle erfasste es, von der Spitze bis zum Boden. Draußen vor dem Zirkuszelt zuckten die Tiere zusammen, das Pony, das oft von den Zwillingen geritten wurde, stieß sich den Kopf, den es gerade unter der Raufe hatte, um dort nach heruntergefallenem Stroh zu suchen, und dann abrupt hochriss.
    Die Kamele machten einen kleinen Sprung und drängten sich aneinander. Der Esel schnaubte aufgeregt und wackelte mit den Ohren. Die Löwen und Tiger wandten in ihren Käfigen fast gleichzeitig die Köpfe und fauchten. Im Zirkuszelt selbst lag Shane immer noch am Boden, die Hände in die Späne gekrallt wie sonst in ihr Laken. Sie starrte noch immer auf den Ball, der nun still lag. Rotbein blickte ebenfalls den Ball an, dann drehte er den Kopf. Die Rambokumpane schauten sich an. Die anderen Kinder glotzten auf Shane. Rotbein hielt ihr die Hand hin. „Na na na, kleines Fräulein! Wer wird denn da so wütend werden? Nun steh erst mal auf.“
    Shane zog sich hoch. „Ahhh.“ Sie fasste sich an den Kiefer. Rotbein blickte sich um. „Wir machen Schluss für heute. Auf Wiedersehen, bis nächste Woche!“
    Die Kinder gingen an Shane vorbei und starrten sie an. Sie drehte den Kopf weg.
    Sie kannte diese Blicke. Jeden einzelnen verdammten Blick kannte sie. Sie wollte keinen mehr davon sehen. Nie wieder. Sie fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Diese blöden Gören!
    Weißer Nebel tauchte vor ihr auf. Shane riss die Augen auf. Der Nebel wurde dunkler …schwarz. Shane hielt den Atem an. Rotbein sah sie an. Er betrachtete sie von oben bis unten. „Ist alles in Ordnung, Miss Shane?“
    Shane hob den Kopf. Sie nickte. Schließlich klopfte sie ihre Hose ab, sah den Mann in der Strumpfhose noch einmal an und ging dann durch die Manege zum Ausgang. Sie drehte sich noch einmal um. „Auf Wiedersehen.“
    „Auf Wiedersehen, Shane!“
     
    In der Mitte der Manege, im Zirkuszelt, stand Rotbein. Neben ihm stand der Zirkusdirektor, der durch den Artisteneingang gekommen war. Sie blickten Shane hinterher. Dann schauten sie sich an.
     
    Im Haus außerhalb der Stadt, in dem die Winters wohnten, im Obergeschoss, in einem der drei Kinderzimmer lag in der Nacht ein Mädchen und riss stöhnend den Kopf hin und her. Seine Hände hatten sich in das Laken gekrallt, es atmete flach und schnell.
     
    Shane riss die Bettdecke zur Seite und sprang aus dem Bett. Sie lief über den Flur ins Badezimmer, verschloss in Windeseile die Tür hinter sich und öffnete den Klodeckel. Sie übergab sich. Eine Weile hing sie über der Schüssel, schwarze Haarsträhnen klebten ihr im Gesicht, sie schloss die Augen und versuchte ruhig zu atmen. Ihr Kiefer fühlte sich an wie ein riesiger Riss in ihrem Gesicht und ihr Magen krampfte sich wütend zusammen.
    Shane ließ langsam den Klodeckel hinab. Sie richtete sich auf und schaute in den Spiegel über dem Waschbecken. Ein weißes Gesicht schaute sie an. Aus dem Mund rann Spucke. Shane blickte in die Augen des Gesichtes. Sie wusste es nun.
    Sie wusste, welche Frage sie in ihren Träumen stellte. Sie wusste, auf welche Frage sie immer dieselbe Antwort bekam. Nacht für Nacht: Willst du es wirklich wissen?
    Shane schaute in das bleiche Gesicht.
    Wer bin ich?
     
    Nach der Schule trottete Shane nach Hause. Sie schloss die Tür auf, warf ihre Tasche im Vorrübergehen auf die ersten Stufen der Treppe, wandte nur kurz den Kopf, um zu

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