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Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Shane - Das erste Jahr (German Edition)

Titel: Shane - Das erste Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia von Rein-Hrubesch
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können, die sich an den Zweigen bildeten. Doch dafür hatte sie keine Zeit, nicht heute; und auch nicht die Nerven.
    Sie wanderte weiter langsam durch den Park, sie lächelte den Menschen zu und die Menschen lächelten zurück, und Shane überlegte, wer wohl von ihnen ein Jäger sein mochte.
    Dann fand sie, dass es genug sei, sie verließ den Park an der Stelle, an der sie ihn betreten hatte, sie stand im Inneren der Stadt und atmete tief ein.
    Shane setzte sich langsam in Bewegung, sie beschloss, durch die engen Gassen zu gehen und war sich bald sicher, dass jemand ihrer Einladung gefolgt war.
    Die Angst in ihrem Herzen wuchs, sie war auf dem Weg in die Höhle des Löwen, nur dass ihr Löwe kein verspieltes kleines Kätzchen mit Samtpfoten war, sondern eine hungriges gieriges Monster.
    Sie begann zu zittern, und nur die Stimme in ihr, die stärkere, half ihr, weiter zu gehen.
    Als der Himmel sich langsam verdunkelte, überlegte sie, ob es eine gute Idee gewesen war, herzukommen und sie herauszufordern.
    Doch die Stimme sagte ihr, dass sie sowieso keine Wahl hatte. Und sie wusste, dass sie recht hatte. Steh zu deiner Entscheidung, Shane! Das tat sie, und trotzdem lauerte die Angst in ihrer Brust wie ein wütendes Tier.
    Shane ging die Straße entlang und bog in eine kleine Gasse ein. Dann blieb sie stehen. Sie schaffte es nicht, den Kopf zu heben und sich umzusehen, es war dunkel, das würde reichen.
    Shane hörte nichts als ihren eigenen Herzschlag, der in ihr hämmerte. Warum bist du hierhergekommen, Shane? Du musst nicht ganz bei Trost sein! Ja, es konnte sein, dass sie den Verstand verloren hatte, doch sie hätte nicht anders handeln können, irgendwas in ihr drängte sie dazu, es zu tun,
    und sie spürte, dass es das einzig Richtige war.
    Verstehen konnte sie es dennoch nicht, also blieb sie einfach hier in der dunklen engen Gasse stehen und lauschte ihrem eigenen Herzschlag.
     
    „18. September 1991.
    Ich bin verdammt dazu, böse zu sein.
    Die Jäger sind überall. Ich sehe sie jeden Tag, in der kleinsten Ritze kriechen sie herum, in dunklen Gassen lauern sie im Dunkeln.
    Inzwischen habe ich fast alle Zeitungsartikel aufgetrieben. Es ist unglaublich, mit welcher grausamen Sorgfalt die Jäger jeden von uns ausfindig machen und ohne Skrupel töten. Sie sind klug, und das macht sie noch gefährlicher.
    Sie verfügen über ein fast unbegrenztes Wissen über Chemie und Physik, was eigentlich immer uns Augen nachgesagt wurde, doch es ist uns abhandengekommen.
    Unsere Verfolger haben es uns abgejagt wie unsere Seelen, die nur noch dahin siechen; sie haben uns unseren Glauben abgejagt an uns und unsere Macht. Inzwischen glauben wir nur noch das, was uns die Jäger sagen. Und das ist wohl das Schlimmste, was sie uns angetan haben.
    Wir sind böse.Die Augen sind böse.
    Ich bin verdammt dazu, böse zu sein.“
     
    Shane stand in der engen dunklen Gasse und zog unwillkürlich die Schultern hoch. Sie atmete tief ein und zwang sich dazu, sich umzusehen. Riesige hohe schmale Häuser schienen sich zu ihr herunterbeugen zu wollen. Shane schluckte. Mit dem Schnee war es wenigstens etwas heller, der Schnee legte sich über das, was ihr Angst machte.
    Doch in der Innenstadt gab es keinen Schnee. Und außerhalb löste er sich auf.
    Dunkle kalte Mauern, von denen das Wasser tropfte wie vom  Zahn eines Tieres. Auf den Straßen glänzte es, der eisige Überzug schmolz dahin, und auf den Gehwegen schwamm nur noch schmutziges Wasser. Shane hob ihren Stiefel. Gertie würde ausrasten. Sie hob den Kopf. Es war soweit.
    Sie waren da, sie waren ihrer Einladung gefolgt, sie waren ihr gefolgt, und die Gewissheit, dass etwas passieren würde, packte sie nun und warf sie fast um. Shane öffnete den Mund. Sie konnte kaum atmen, lauwarme Luft strömte über ihre Lippen und über ihre Wangen.
    Nun war es getan, es gab kein Zurück mehr, sie wusste sie es, es war so klar wie der eisige Überzug, der die letzten Wochen auf diesen Straßen gelegen hatte.
    Die Gewissheit hatte sie gepackt und ihre Gedanken umher geschleudert. Shane atmete pfeifend ein. Ein eiserner Ring schien um ihre Brust zu liegen.
    Es gab kein Zurück mehr, kein Entrinnen.
    Es würde etwas geschehen.
    Heute Abend, jetzt, heute und hier, in dieser Gasse, nicht weit von dem kleinen Häuschen, in dem Hedwig gewohnt hatte, dort, wo die kleine alte Frau in ihrem Garten einen Schatz gehütet hatte, nicht weit von dort würde etwas geschehen, und Shane wusste es. Eine Eiseskälte

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