Shannara I
Geschichte des Nordlandes etwas gelesen?« Er machte eine Pause. »Kennst du das Schädelreich?«
Shea erstarrte bei dem Namen, der für alles Entsetzliche im Leben stand, wirklich und eingebildet, ein Name, mit dem man kleine Kinder schreckte, die nicht brav waren, oder erwachsenen Männern Schauer über den Rücken jagte, wenn vor dem verglühenden Feuer am Abend Geschichten erzählt wurden. Es war ein Name, der an Geister und Kobolde erinnerte, an die verschlagenen Waldgnome des Ostens und die großen Bergtrolle des fernen Nordens. Shea blickte in das düstere Gesicht vor sich und nickte langsam.
»Ich bin Historiker, Shea, unter anderem - vielleicht der weitestgereiste lebende Historiker heutzutage, da außer mir in über fünfhundert Jahren nur wenige das Nordland betreten haben. Ich weiß viel über die Rasse des Menschen, das jetzt niemand ahnt. Die Vergangenheit ist eine verschwommene Erinnerung geworden, und das ist vielleicht ganz gut, denn in den letzten zweitausend Jahren ist die Geschichte des Menschen nicht gerade ruhmreich gewesen. Die Menschen heute haben die Vergangenheit vergessen; sie wissen wenig von der Gegenwart und nichts von der Zukunft. Die Rasse der Menschen lebt fast ausschließlich innerhalb der Grenzen des Südlandes. Sie weiß nichts vom Nordland und seinen Völkern, und wenig vom Ostland und Westland. Bedauerlich, daß die Menschen ein so unwissendes Volk geworden sind, denn einstmals sind sie von allen Rassen jene mit der größten Visionskraft gewesen. Aber jetzt begnügen sie sich damit, abgesondert von den anderen Rassen zu leben, isoliert von den Problemen im Rest der Welt. Sie begnügen sich damit, weil diese Probleme sie noch nicht berührt haben, wohlgemerkt, und weil die Angst vor der Vergangenheit sie dazu bewogen hat, die Zukunft nicht zu genau zu betrachten.«
Shea ärgerte sich ein wenig über diese weitreichenden Anschuldigungen und erwiderte scharf: »Wenn man Euch hört, ist es etwas Schlimmes, in Ruhe gelassen werden zu wollen. Ich kenne genug von der Geschichte - nein, vom Leben -, um zu begreifen, daß die einzige Hoffnung des Menschen zu überleben darin besteht, abseits der Rassen zu sein, um alles wieder aufzubauen, was er in den vergangenen zweitausend Jahren verloren hat. Dann wird er vielleicht klug genug sein, es nicht ein zweitesmal zu verlieren. Er hat sich durch seine unablässige Einmischung in die Angelegenheiten anderer und seine fehlgeleitete Ablehnung einer Isolationshaltung in den Großen Kriegen beinahe völlig vernichtet.«
Allanons Gesicht wurde hart.
»Die katastrophalen Folgen dieser Kriege sind mir bewußt - die Ergebnisse von Macht und Habgier, die der Mensch durch eine Kombination von Sorglosigkeit und bemerkenswerter Kurzsichtigkeit auf sich selbst herabgezogen hat. Das ist lange her - und was hat sich geändert? Du glaubst, der Mensch könne neu anfangen, nicht wahr, Shea? Nun, es dürfte dich nicht wenig überraschen, zu erfahren, daß manche Dinge sich nie ändern und die Gefahren der Macht stets gegenwärtig sind, auch noch für eine Rasse, die sich selbst schon fast völlig ausgelöscht hat. Die Großen Kriege der Vergangenheit mögen vorbei sein - die Kriege der Rassen, der politischen Anschauungen und des Nationalismus, und die endgültigen der reinen Energie, der äußersten Macht. Aber heute stehen wir vor neuen Gefahren, und sie bedrohen die Existenz der Rassen mehr als irgendeine der alten. Wenn du glaubst, der Mensch sei frei, um ein neues Leben aufzubauen, während der Rest der Welt vorbeizieht, weißt du von der Geschichte überhaupt nichts!« Er verstummte zornig. Shea starrte ihn aber trotzig an, obwohl er sich klein und ängstlich fühlte. »Genug davon!« fuhr Allanon fort, und er griff nach Sheas Schulter. »Die Vergangenheit liegt hinter uns, und es ist die Zukunft, mit der wir uns befassen müssen. Laß mich kurz dein Gedächtnis auffrischen, was die Geschichte des Nordlands und die Legende des Schädelreichs angeht. Wie du sicher weißt, haben die Großen Kriege dem Zeitalter ein Ende gemacht, in dem der Mensch allein die beherrschende Rasse darstellte. Der Mensch ist fast völlig ausgerottet worden, und selbst die Geographie, die er kannte, wurde total verändert, völlig umgeformt. Länder, Nationen und Regierungen hörten alle auf zu existieren, als die letzten Angehörigen der Menschheit nach Süden flohen, um zu überleben. Es dauerte fast tausend Jahre, bevor der Mensch sich wieder über das Niveau der Tiere,
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