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Sharras Exil

Sharras Exil

Titel: Sharras Exil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Sharras … ich spürte wieder dies Brennen, das die terranischen Ärzte Phantom-Schmerz genannt hatten … Verfolgt wurde ich, sagte ich am Rand der Hysterie zu mir selbst, verfolgt vom Geist meines Vaters und vom Geist meiner Hand … und befahl mir energisch Einhalt. Entschlossen sagte ich zu Andres: »Besorg etwas zu essen für mich – für uns alle. Dann werden wir Marius in die Kapelle der Comyn-Burg bringen und für die Dauer der Ratssitzungen dort wohnen. Die Hausbesorger in unseren Räumen werden Alton-Leute sein und mich als Erben meines Vaters kennen. Und da ist noch ein Mensch, der benachrichtigt werden muss. Linnell.«
    Andres’ Blick wurde weich. »Arme Linnell«, murmelte er. »Sie war die Einzige unter den Comyn, die etwas für ihn übrig hatte. Auch wenn sich sonst niemand erinnerte, dass es ihn gab, war er für sie immer ihr Pflegebruder. Sie schickte ihm Festgeschenke und ritt an Feiertagen mit ihm aus … Als sie Kinder waren, hatte sie ihm versprochen, wenn er zuerst heirate, werde sie die Brautjungfer seiner Frau sein, und wenn sie zuerst heirate, soll er sie in die Ehe geben. Vor noch nicht zehn Tagen kam sie her, um ihm zu erzählen, der Hochzeitstag für sie und Derik sei festgesetzt worden, und sie lachten miteinander und sprachen über die Hochzeit …« Der alte Mann brach erschüttert ab.
    Ich hatte mit Linnell seit meiner Rückkehr noch nicht gesprochen. Ich hatte ja vorgehabt, mich mit Callina wegen der sicheren Unterbringung der Sharra-Matrix zu beraten, und bei dieser Gelegenheit hatte ich auch Linnell begrüßen wollen … Sie stand Marius im Alter näher als mir, aber wir waren Freunde gewesen, Bruder und Schwester. Es war mir keine Zeit dazu geblieben. Die Zeit wurde jetzt für uns alle knapp, und ich musste Callina nicht nur als Verwandte, sondern auch als Bewahrerin aufsuchen.
    Auch ich trug das Siegel Sharras … sie konnten mich jeden Augenblick in diese unheimliche Sache hineinziehen …
    Ich beugte mich über Marius’ Leiche, nahm den kleinen Dolch aus seinem Gürtel. Den hatte ich ihm geschenkt, als er zehn Jahre alt war; ich hatte nicht gewusst, dass er ihn all die Jahre getragen hatte. Auf Vainwal liefen die Männer nicht mit Dolchen im Gürtel herum. Ich ließ ihn in die leere Scheide meines Stiefels gleiten, und es überraschte mich, wie selbstverständlich ich die Bewegung nach all diesen Jahren ausführte.
    Bevor Sharra mich wieder an sich ziehen kann, wird dieser Dolch mein Herz finden …
    »Bringt ihn in die Burg«, sagte ich und folgte langsam der kleinen, müden Prozession durch den leise fallenden Sommerschnee. Fast war ich froh über den brüllenden Schmerz in meinem Kopf, der mich davon abhielt, zu intensiv an Linnells Gesicht zu denken, wenn ich ihr seinen Tod mitteilen musste.
    Marius lag in dieser Nacht in der Kapelle der Comyn-Burg unter den alten Steinbogen und den Wandgemälden. Aus ihrer stillen Nische wachte die Gesegnete Cassilda, in Blau gekleidet und mit einer Sternenblume in der Hand, für immer über ihre Kinder. Mein Vater hatte sich wenig um die Götter gekümmert und mich in der gleichen Anschauung erzogen. Marius war den Comyn im Tod näher, als er es je im Leben gewesen war. Ich jedoch blickte zu den Vier Göttern auf, deren Bildnisse in den vier Ecken der Kapelle hingen – Avarra, die dunkle Mutter der Geburt und des Todes, Aldones, der Herr des Lichts, Evanda, die helle Mutter des Lebens und des Wachstums, Zandru, der Herr der Neun Höllen … und wie das Bohren in einem kranken Zahn spürte ich in meinem Geist die brennende Berührung Sharras …
    Sharra war in Ketten gelegt worden von Hastur, dem Sohn Aldones’, der der Sohn des Lichts war …
    Fabeln, Märchen, um Kinder zu ängstigen oder sie im Dunkeln zu trösten. Was hatten die Götter mit mir zu tun, der ich Sharras Feuer wie einen tobenden Sturm in mir trug? Eines Tages mochte Sharra mein Gehirn ausbrennen … wie sie meine Hand weggebrannt hatte …
    Aber als ich die Kapelle verließ, dachte ich: Das Feuer ist wirklich, wirklich genug, um die Stadt Caer Donn einzuäschern, wirklich genug, um Marjorie zu töten, um meine Hand in Narben zu verkohlen, die niemals mehr heilen werden, und mich zelltief so zu schädigen, dass sogar das von mir gezeugte Kind ein nichtmenschliches Monstrum wurde … Das alles ist kein Märchen. Etwas muss hinter den Legenden stecken. Wenn es irgendwo unter den vier Monden eine Antwort gibt, muss sie den Bewahrerinnen bekannt sein, oder es kennt sie

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