Sharras Exil
unausgesprochenen Teil: Lews Arbeit im Arilinn-Turm, seine Begabung für die Matrix-Technologie hatten zur Sharra-Rebellion geführt und zu dem Schwert, das kein Schwert war – zu dem Schwert, das Sharra verbarg …
Und er sah sie wachsen, aufblühen hinter Lews Augen, er sah den Ausdruck des Entsetzens, der sich auf Lews Gesicht ausbreitete, spürte, wie seine eigenen Haare zu Berge standen, als die Flammen in seinem Geist zu lodern begannen … Sharra! Er blickte Lew an. Der lächelnde Mann, der Verwandte, mit dem er in aller Ruhe die Vorteile einer terranischen gegenüber einer darkovanischen Erziehung diskutiert hatte, war verschwunden. Lews Gesicht war todesbleich, so dass sich die Narben wie scharlachfarbene Male abhoben, und in seinen Augen stand das nackte Entsetzen. Er starrte ins Nichts, aber beide konnten sie es sehen, das tobende, brennende Bild der Feuergöttin. Sie kämpfte gegen ihre Ketten, ihre Flammenlocken flatterten hoch zum Himmel hinauf … Sie war nicht in der stillen Straße, sie war gar nicht auf dieser Welt, aber sie war da, da in ihren Köpfen, grausig gegenwärtig für Regis wie für Lew …
Regis atmete schwer, bezwang das Zittern seiner Hände, griff hinaus nach Lews Geist, versuchte, es genauso zu machen wie bei Javanne, das Feuerbild aus dem Gewebe von Lews Gedanken zu lösen … und fand etwas, das er noch nie berührt hatte. Javanne hatte Sharra nur in seinen Gedanken gesehen, Rafe hatte nur die Matrix gesehen … Das war etwas anderes, etwas Gefährlicheres. Er erblickte ein Gesicht, mager, wölfisch, farbloses Haar, farblose graue Augen, und das Gesicht einer Frau, das wie eine ruhelose Flamme war …
»Kadarin …«, keuchte er und wusste nicht, ob er den Namen laut ausgesprochen hatte oder nicht. Das glasige Entsetzen wich aus Lews Blick. Er erklärte grimmig: »Komm! Das habe ich befürchtet …«
Er begann zu laufen. Regis folgte ihm und spürte den pochenden Schmerz, der in Lews Hand brannte – in der Hand, die nicht mehr da war, ein Phantom-Feuer … und doch so wirklich, dass Lew, während er in ungleichmäßigen Sätzen vorwärts stürmte – die gute Hand an dem Dolch in seinem Gürtel –, der Schweiß auf der Stirn stand.
Sie liefen auf den offenen Platz hinaus, an dem das Stadthaus der Altons stand, hörten Rufe, Schreie. Ein halbes Dutzend Männer der uniformierten Stadtgarde kämpfte mitten auf dem Platz, doch konnte Regis nicht erkennen, gegen wen.
Lew schrie: »Marius!«, und raste die Stufen hinauf. Plötzlich flog die Tür auf, und im gleichen Augenblick sah Regis Flammen aus einem der oberen Fenster schießen. Einer der Offiziere bemühte sich, Leute zu einer Eimerkette aufzustellen, die Wasser aus dem nächsten Brunnen und aus einem kleineren Brunnen im Garten hinter dem Haus herbeibefördern sollte. Aber da war nichts als ein wildes Durcheinander.
Lew kämpfte auf den Stufen mit einem großen Mann, dessen Gesicht Regis nicht sehen konnte, kämpfte einhändig mit seinem Messer. Götter! Er hat nur eine Hand! Regis rannte, riss sein Schwert aus der Scheide, sah Andres mit einem Räuber ringen, der die Kleidung der Bergbewohner trug … aber was tun Bergbewohner hier in Thendara? Die Gardisten drängten sich, angefeuert von einem Offizier, die Stufen hoch. In dem Gedränge war es schwer, Freund von Feind zu unterscheiden. Regis gelang es, sich Rücken an Rücken mit Lew zu stellen, und für einen Augenblick, als er sein Schwert hochriss, sah er ein Gesicht, das er erkannte …
Hager, grauäugig, die Zähne entblößt wie bei einem Tier … Der Mann Kadarin sah älter, gefährlicher als damals aus . Sein Gesicht blutete; Lew hatte es mit seinem Dolch aufgeschlitzt. Hinter Regis prasselte und knatterte es laut wie eine Folge von Detonationen. Dann drängten die Gardisten alle Kämpfer mit Warnrufen von den Stufen hinunter. Das Haus bog sich langsam und explodierte himmelwärts. Der Luftdruck warf Regis auf die Knie. Und dann stieß eine hohe, klare Frauenstimme einen Ruf aus, und plötzlich war die Räuberbande verschwunden, schmolz über den Platz weg, verlor sich wie Nebelschwaden im Labyrinth der Straßen. Benommen raffte Regis sich auf. Die Gardisten kämpften mit den Überresten des brennenden Hauses. Eine Gruppe verängstigter Dienerinnen weinte in einer Ecke des Gartens. Andres hinkte mit offener Jacke, vom Rauch beschmutztem Gesicht und einem nicht zugeschnürten Stiefel die Treppe herunter und beugte sich über Lew. Jeff kam und half Lew, sich
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