Sherlock Holmes - Der Hund von Baskerville
sich in der Ferne ein grauer, melancholischer Berg mit einem merkwürdig gezackten Gipfel. Der Ausblick war verschwommen und undeutlich wie eine phantastische Traumlandschaft.
Baskerville saß lange Zeit still da und hatte seine Augen darauf gerichtet, und ich las auf seinem Gesicht, wieviel ihm der erste Blick auf dieses Stück Erde bedeutete, das seine Vorfahren so lange besessen und wo sie so tiefe Spuren hinterlassen hatten. Da saß er mit seinem Tweedanzug und seinem amerikanischen Akzent in der Ecke eines prosaischen Eisenbahnabteils, und doch: Als ich sein dunkles, ausdrucksvolles Gesicht betrachtete, fühlte ich mehr als je zuvor, wie sehr er doch ein echter Sproß jener langen Reihe von edlen, heißblütigen und herrischen Menschen war. Seine dichten Brauen, seine sensiblen Nasenflügel und seine großen, haselnußbraunen Augen verrieten Stolz, Tapferkeit und Stärke. Wenn uns dort auf jenem abschreckenden Moor ein schwieriges und gefährliches Abenteuer erwarten sollte, war dies jedenfalls ein Kamerad, für den man gern ein Risiko auf sich nahm in der Gewißheit, daß er jede Gefahr tapfer mit einem teilen würde.
Der Zug kam an einer kleinen Zwischenstation zum Halten, und wir stiegen alle aus. Draußen, hinter dem niedrigen weißen Zaun, wartete auf uns ein offener Jagdwagen mit einem Paar temperamentvoller Pferde davor. Unsere Ankunft war offensichtlich ein großes Ereignis, denn Stationsvorsteher und Gepäckträger drängten sich um uns. Es war ein bezaubernder ländlicher Ort, aber ich war doch überrascht, daß am Eingang zwei soldatische Männer in dunklen Uniformen standen, auf ihre Gewehre gestützt. Forschend musterten sie uns.
Der Kutscher, ein knorriger kleiner Mann mit harten Gesichtszügen, salutierte vor Sir Henry Baskerville.
Ein paar Minuten später ging's wie im Fluge die breite weiße Straße entlang. Hügeliges Weideland erstreckte sich zu beiden Seiten der Straße, und alte Häusergiebel lugten aus dichtem grünen Laubwerk hervor. Aber hinter dieser friedlichen, sonnendurchfluteten Landschaft hob sich dunkel gegen den Abendhimmel die lange düstere Linie des Moores ab, unterbrochen von den zerklüfteten und
furchteinflößenden Hügeln.Der Kutschwagen bog in einen Seitenweg ein. Nun ging es in tiefen
Fahrspuren, die Räder durch Jahrhunderte hier eingegraben hatten, in vielen Kurven bergan. An den steilen Böschungen zu beiden Seiten wuchsen dickes Moos, üppige Farnkräuter und Brombeersträucher.
Immer noch fuhren wir stetig bergauf; so passierten wir eine schmale Steinbrücke, unter der zwischen grauen Felsblöcken eilig ein rauschender Bach dahinschoß, dem wir stromaufwärts folgten. Straße und Fluß schlängelten sich beide durch ein dicht mit Eichen- und Kieferngestrüpp bewachsenes Tal.
Bei jeder Wegbiegung stieß Baskerville einen Freudenschrei aus, blickte sich entzückt um und stellte unzählige Fragen. In seinen Augen schien alles wunderschön, für mich aber lag ein Hauch von
Schwermut über der Landschaft, die schon deutlich die Zeichen des vergehenden Jahres trug. Gelbe Blätter bedeckten wie ein Teppich die Wege und flatterten auf uns herunter, während wir vorüberfuhren.
Das Rattern unserer Räder erstarb, wenn wir durch Haufen verrottender Vegetation fuhren - ein trauriger Empfang, wie es mir schien, den die Natur dem heimkehrenden Erben der Baskervilles bereitete.
»Hallo!« rief Dr. Mortimer. »Was soll denn das?«
Eine steile, mit Heide bedeckte Anhöhe, ein Ausläufer des Moores, lag gerade vor uns. Auf ihrem höchsten Punkt sah man, unbeweglich wie ein Reiterstandbild und klar sich vom Himmel abhebend, einen berittenen Soldaten, das Gewehr schußfertig im Arm. Er beobachtete die Straße, die wir entlangkamen.
»Was soll das bedeuten, Perkins?« fragte Dr. Mortimer.
Unser Kutscher drehte sich halb auf seinem Sitz um.
»Aus Princetown ist ein Sträfling ausgebrochen, Sir. Er ist nun seit drei Tagen flüchtig. Deshalb werden alle Straßen und alle Bahnhöfe bewacht, aber sie haben ihn noch nicht wieder gefaßt, Die Bauern, die hier herum leben, mögen das gar nicht, Sir, das können Sie glauben.«
»Nun, soweit ich weiß, bekommen sie fünf Pfund, wenn sie einen Hinweis geben können.«
»Ja, Sir, aber viel größer als die Chance, fünf Pfund zu verdienen, ist die Aussicht, daß einem die Kehle durchgeschnitten
wird. Wissen Sie, das ist kein gewöhnlicher Zuchthäusler, sondern einer, der vor nichts zurückschreckt.«
»Wer ist es denn?«
»Es
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