098 - Die Geistergirls von W
Das Grauen war unterwegs und näherte sich dem Mädchen, das im
Dunkeln am Straßenrand stand, um per Anhalter mitgenommen zu werden. Es war
kurz vor Mitternacht und Karin Anders wollte noch nach Gelsenkirchen zurück.
Sie hatte den Tag in Bochum verbracht, den Abend noch zwei Stunden
in einer Diskothek getanzt und besaß nun kein Geld mehr für die Bahn. Ein
grüner Audi 80 hielt an der Bordsteinkante. In ihm saßen drei junge Burschen,
die sie mitnehmen wollten. Aber Karin stieg nicht ein. Das schien ihr zu
gefährlich. So begann für sie das Warten auf einen anderen Wagen. Sie hatte
Glück. Nur fünf Minuten später tauchte ein weiteres Fahrzeug auf. Ein
mausgrauer VW Käfer, am Steuer saß ein junges Mädchen, das etwa Karin Anders'
Alter hatte und bereit war sie mitzunehmen.
»Ich heiße Britta«, stellte sich die Fahrerin vor. Sie wirkte
frisch, unkompliziert und war hübsch. Das brünette Haar fiel weichfließend und
gewellt auf ihre Schultern. Ihr schmales Gesicht wirkte ausgesprochen apart,
und die dunklen Augen wurden durch die langen seidigen Wimpern noch betont.
Britta fuhr nach Wattenscheid und war unter Umständen auch bereit, einen
kleinen Umweg bis nach Gelsenkirchen zu machen. Karin Anders war über dieses
großzügige Angebot erfreut, wollte es allerdings nicht annehmen, aber Britta
Leisner ließ sich nicht umstimmen.
»Die paar Kilometer machen es auch nicht«, meinte sie. Sie kannte
sich hier aus und fuhr einige Abkürzungen. Die Straßen, durch die sie kamen,
lagen offensichtlich am Ortsrand von Wattenscheid. Karin Anders wurde während
der Fahrt müde, ihr fielen die Augen zu. Außerdem begann sie zu frösteln, und
so griff sie mechanisch hinter sich auf den Rücksitz, um die Strickjacke wieder
überzuziehen, die sie vorhin nach dem Einsteigen dort verstaut hatte. Auf dem
Rücksitz lag etwas Längliches, das mit einer Decke zugedeckt war.
Als Karin Anders nach ihrer Jacke fingerte und sie nicht gleich
fand, fuhr Britta den VW Käfer an den Straßenrand. Es war eine einsame, düstere
Straße und mächtige Alleebäume standen in Reih und Glied nebeneinander. Karin
Anders drehte sich ganz um und beugte sich ein wenig nach hinten. Ihre Jacke
war verrutscht und lag auf dem Boden. Bei dem Versuch, sie mit spitzen Fingern
aufzuheben, fasste die Anhalterin auch in die Decke.
Die verrutschte ebenfalls. Karin Anders war sofort hellwach. Was sie sah ,
erfüllte sie mit Grauen und ließ ihre Nackenhaare sich sträuben. Auf dem
Rücksitz - lag eine Tote!
Eine junge Frau, blond, blass und mit
weit aufgerissenen Augen zur Decke starrend. Um ihre Kehle zog sich ein roter
Streifen aus Blut. Karin Anders kam nicht mehr zum Begreifen, Denken und
Handeln. Sie registrierte aus den Augenwinkeln nur noch das metallische
Aufblitzen. Ein Rasiermesser! Die Klinge fuhr ihr in die Kehle und
ritzte sie. Röchelnd sackte die Anhalterin auf dem Beifahrersitz zusammen,
während die Mörderin kaltlächelnd das Rasiermesser zusammenklappte und in der
Handtasche verschwinden ließ.
●
Vierundzwanzig Stunden später ereigneten sich weitere seltsame und
unheimliche Dinge in der kleinen Stadt. Hineingezogen wurde das Ehepaar Erwin
und Sonja Rösch, das gerade ihre Wohnung verlassen wollte. Sie warfen noch
einen Blick ins Kinderzimmer. »Na wunderbar«, flüsterte die Mutter.
»Er schläft tief und fest .« Es war zehn
Uhr abends. Eigentlich hatten sie nicht mehr vorgehabt, so spät noch
wegzugehen. Aber dann war vor wenigen Minuten ein Anruf von Freunden gekommen.
Sie sollten noch auf einen Sprung reinschauen. Man saß im Garten hinter dem
Haus zusammen und wollte diesen schönen Spätsommerabend gemütlich ausklingen
lassen. Die Röschs hatten zugesagt. Das Haus der Leute, mit denen sie
befreundet waren, lag nur wenige Minuten von ihrem eigenen entfernt.
»Sollen wir ihm nicht eine Nachricht hinterlassen ?« , fragte Sonja Rösch noch ihren Mann. Doch Erwin Rösch
schüttelte den Kopf. »Hans-Peter wird nicht wach. Außerdem bleiben wir nicht
lange. Höchstens 'ne Stunde.«
Die Frau bezweifelte das.
»Wenn wir bei Bertmans sind, wird's
immer spät. Und erst recht zum Wochenende. Freitags geht keiner von ihnen früh
zu Bett ...« Sonja Rösch wollte es auch diesmal nicht übergehen. Sie schrieb
auf einen Notizzettel, wo sie waren, heftete ihn wie gewohnt an die Innenseite
der Tür und verließ dann mit ihrem Mann die Wohnung. Als Sonja Rösch den
Schlüssel aus der Tür zog, stutzte sie plötzlich.
»Na,
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